Geschichten,

die heilen“

 

oder

 

Absurd, sagte die Eintagsfliege, als sie das Wort Woche hörte.“

 

Geschichtensammlung

von

Jürgen Behring

 

 

 

 

1.    Die Geschichte vom alten Indianer

2.    Rabbi und Bauer (Der Palast)

3.    Der Spaßmacher

4.    Die goldene Schraube

5.    Froschaugen

6.    Nasrudin sucht ...

7.    Die Geschichte von den zwei Kindern im Leib der Mutter

8.    Gibt es ein Leben nach der Geburt?

9.    Die Leiden des jungen Franzl

10.Die Familie der weißen Wolken

11.Ein Wanderer

12.Zwei Wölfe

13.Die Verblendung

14.Die Hühner

15.Das Aquarium

16.Die Parabel vom Schmetterling

17.Der Esel, der in den Brunnen fiel...

18. Der entspannte Bogen

19. Geschichte von Gott

20. Der entspannte Bogen

21.Der Fuchs und die Weintrauben

22.Irgendetwas fiel herunter

23.Es ist alles ganz einfach...

24.Die Statue des Michelangelo

25.Drei Söhne

26.Das Geheimnis der Zufriedenheit - eine weise Geschichte

27.Neun Silberstücke

28.Nahrung fürs Gewand

29.  Die Schnur

30.Wer bin ich?

31.Auf Bärenjagd

32.Das gelüftete Geheimnis

33.Spiegelei

34.Drei Maurer

35.Die Antwort

36.Der Glaube

37.Das Versteck der Weisheit

38.Die Blinden und der Elefant

39.Die Liebe

40.Die Schuld

41.Die halbe Wahrheit

42.Wie Nasrudin Wahrheit schuf

43.Feste Ansichten

44.Das Wesen der Wahrheit...

45.Die Bekehrung

46.Die Geschichte von einem, der es genau wissen wollte

47.Das Problem

48.Das Krokodil-Dilemma

49.Mullah Nasrudin, sein Sohn und der Esel

50.Der Gast

51.Die Heilung

52.Der kleine John

53.Die Rose

  1. Der Großvater und sein Enkel - eine kluge Geschichte

55.Zweierlei Glück

56.„... Wie schön es ist da unten!“

57.Esoterisch

58.Universi-tot

59.Der Fromme

60.Das Gottvertrauen

61.Das Urteil

62.Die Fabel von den Fröschen

63.Die Rückkehr

64. Die Geschichte mit dem Hammer

65. Ein Mensch, durch den die Sonne scheint

66.Im alten Athen

67.Heiraten (Nasrudin)

68.Der Mann und die Milch

69.Katze und Maus

70.Bauer und Bäurin

71.Der gebrochene Finger

72.Hoffentlich bin ich krank!

73.Kopfschmerz

74.Klein Fritzchen

75.Noch zwei Witze zum Thema Sucht

76.Und noch einer...Cannabis

77.Ein Mann gab das Rauchen auf...

78.Die geheilte Bronchitis

79.Double Bind

80.Der Ausweg (des kleinen Affen)

81.Der verfehlte Dialog

82.Kurze Witze

83.MU

84.Zwei Mönche

85.In der Not

86.Ich selbst

87.Der Schatz

88.Der Schlüssel in der Mitte des Menschen

89.Impfung

90.Alexander und der Yogi

  1. Das Nicht

 

Anhang

 

Variationen der „Geschichte vom alten Indianer“

  1. Das weiße Pferd

93.Mal sehen, wer weiß wozu es gut ist...

 

 

Die Geschichte vom alten Indianer

 

Ein alter Indianer lebte allein mit seinem Sohn in seinem Wigwam. Er hatte nur noch ein altes Pferd. Eines Tages lief ihm das Pferd davon. Da kam der Nachbar des alten Indianers und sagte: „Was bist Du nur für ein Pechvogel. Welch ein Unglück!“ Der alte Indianer saß immer ruhig vor seinem Wigwam. Er antwortete nur: „Unglück? Wer weiß? Warten wir ab. Wer weiß, wozu es gut ist?“

 

Der Sohn des alten Indianers ging auf die Suche nach dem Pferd. Tagelang durchstreifte er die Berge und Täler. Schließlich kam er in ein abgelegenes Seitental und fand dort das alte Pferd inmitten einer Herde von 12 rassigen Wildpferden. Der junge Indianer fing sie alle ein und kam schließlich mit 13 Pferden zurück. Da schien der alte Indianer nun ein gemachter Mann. Der Nachbar kam angerannt und rief: „Was hast du doch für ein Glück! Jetzt hast du gleich eine ganze Herde von 13 Pferden! Welch ein großes Glück!“ Der alte Indianer antwortete nur: „Glück? Wer weiß? Warten wir ab. Wer weiß, wozu es gut ist?“

 

Der Sohn des alten Indianers begann, die Wildpferde einzureiten. Schließlich geschah es. Er fiel vom Pferd und brach sich ein Bein. Da lag er nun im Wigwam des Vaters und musste gepflegt werden. Da kam der Nachbar und wollte sein Mitgefühl ausdrücken. Jetzt hattest du endlich mal Glück und dann so etwas. Das tut mir sehr leid. Wer weiß was aus deinem Sohn wird? Welch ein Unglück!“ Der alte Indianer antwortete nur: „Unglück? Wer weiß? Warten wir ab. Wer weiß, wozu es gut ist?“

 

Da wurden alle jungen Männer auf den Kriegspfad gerufen. Alle erwachsenen Söhne verließen ihr zuhause, um einen befeindeten Stamm anzugreifen. Nur der Sohn des alten Indianers blieb zuhause. Er war nicht zu gebrauchen. Da kam der Nachbar und sprach: “Welch ein Glück im Unglück! All meine Söhne ziehen nun fort. Nur du behältst deinen Sohn. Was hast du nur für ein Glück!“ Der alte Indianer antwortete nur: „Glück? Wer weiß? Warten wir ab. Wer weiß, wozu es gut ist?“

 

Und so kam es dann auch. Die jungen Männer waren erfolgreich und überraschten den feindlichen Stamm. Reich war ihre Beute aus den Wigwams des Feindes. Sie schmückten ihre Zelte damit reichhaltig aus. Der Nachbar wurde auch von seinen Söhnen reich beschenkt und wollte dem alten Indianer ein Stück der Beute abgeben. „Was bist du doch für ein Pechvogel. Du tut mir leid. Gerne gebe ich dir etwas ab. Du sollst nicht leer da stehen in deinem Unglück.“ Der alte Indianer verzichtete jedoch freundlich und antwortete nur: „Unglück? Wer weiß? Warten wir ab. Wer weiß, wozu es gut ist?“

 

Der überfallene Indianerstamm sann auf Rache. Die Überlebenden fanden sich schließlich mit einem befreundeten Stamm zusammen und überfielen den Stamm des alten Indianers. Sie plünderten und brandschatzten in allen Zelten, in denen sie ihr geraubtes Hab und Gut vorfanden. Nur den spärlichen Wigwam des alten Indianers und seines verkrüppelten Sohnes verschonten sie. Nebenan lag der Nachbar tot vor seinem abgebrannten Wigwam.   Der alte Indianer saß immer noch vor seinem Zelt und blickte umher: „Glück-Unglück? Wer weiß? Warten wir ab. Wer weiß, wozu es gut ist?!“

 

 

Rabbi und Bauer (Der Palast)

 

Ein sehr armer Mann kam zum Rabbiner: „Es ist so schrecklich, Rebbe, ich bin unglücklich wie Hiob. Ich mein Weib, meine vier Kinder und meine Schwiegermutter leben in einem Zimmer.“

Fragte der Rabbi: „Hast du Hühner?“

„Ja, vier“

„Nimm sie herein ins Zimmer.“

 

Der Mann wagte nicht zu widersprechen. Nach einer Woche kam er zum Rabbi und sagte: „Es ist noch schrecklicher. Die Hühner machen alles dreckig. Eins hat gepickt den Säugling, mein Weib hat sie gejagt über die Betten.“

Der Rabbi fragte: „Hast du ein Kalb“

Und als der Mann ängstlich nickte, sagte er: „Nimm das Kalb herein ins Zimmer.“

Nach vier Tagen kam der Mann gerannt: „Rebbe, ich kann’s nicht aushalten. Das Kalb brüllt und trampelt auf den Kindern herum, die Hühner fliegen durchs Zimmer und legen Eier ins Bett.“

 

Der Rabbi dachte lange nach, und dann fragte er: „Hast du ein Pferd?“

„Ja, ich habe ein kleines – aber ihr werdet doch nicht wirklich wollen, dass...“

„Nimm herein den Gaul sofort“, verlangte der Rabbi.


Schon am folgenden Morgen kam der Mann schreiend angelaufen: „Das ist zuviel! Keine Minute länger will ich aushalten diese Hölle. Wir werden alle voll meschugge.“

 

„Nun“, sagte der Rabbi, „wenn du es kannst wirklich nicht aushalten länger, dann nimm heraus die Hühner, heraus das Kalb, heraus den Gaul.“

 

Der Mann rannte heim. Schon nach einer Stunde kam er wieder und lachte und klatschte in die Hände und schlug sich auf die Schenkel: „Rebbe, ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt. Uns ist, als säßen wir in einem Palast!“

 

 

 

Der Spaßmacher

(im Original: „Man müsste wissen“)

 

Ein bekannter Spaßmacher forderte Nasrudin im Teehaus heraus: Die Leute sagen, du seist sehr gewitzt; aber ich wette hundert Goldstücke, dass du mich nicht hereinlegen kannst.“

 

„Doch, ich kann“, sagte Nasrudin. „Warte hier einfach auf mich“ sprach´s und ging fort.

 

Drei Stunden später wartete der Mann noch immer auf Nasrudin und seinen Trick. Schließlich musste er zugeben, dass er hereingelegt worden war.

 

Er ging zum Haus des Mulla und warf für die verlorene Wette einen Beutel mit Goldstücken durchs Fenster hinein.

 

Nasrudin lag auf dem Bett und grübelte über seinem Trick. Er hörte das Klingeln der Münzen, fand den Beutel und zählte das Gold.

 

„Gut“, sagte er zu seiner Frau, „das gütige Schicksal hat mir etwas geschickt, womit ich meine Wette zahlen kann für den Fall, dass ich verliere. Nun muß ich nichts anderes mehr tun, als mir einen Trick einfallen lassen, mit dem ich den Spaßmacher hereinlegen kann, der mich sicherlich schon ungeduldig im Teehaus erwartet.“

 

(Shah, 1984)

 

 

Die goldene Schraube

 

Ein Knabe wird geboren. Er ist gesund und wunderschön. Das Kind hat zum Entsetzen der Eltern nur einen einzigen Fehler: Anstatt des üblichen Bauchnabels hat da Kind eine goldene Schraube. Die Eltern achten peinlich darauf, dass niemand diesen Makel zu Gesicht bekommt. Sie reisen von Arzt zu Arzt und von Land zu Land. Aber niemand weiß einen Rat. Weder mit List noch mit Gewalt: Diese Schraube bewegt sich keinen Millimeter.

 

Das Kind ist schließlich ein erwachsener Mann. Wie die Eltern hat der Mann nur ein Bestreben: die goldene Schraube muss weg.

 

Er reist von Kontinent zu Kontinent. In Indien bekommt er schließlich den Rat, dass hoch oben im Himalaja ein Baum sei, und dort könne er die Lösung finden.

 

Der Weg wird ihm beschrieben, und er macht sich auf eine lange, beschwerliche Reise. Tatsächlich, an der beschriebenen Stelle ist besagter Baum. Sehr müde schläft der Mann mit dem goldenen Bauchnabel ein. Er träumt einen langen Traum, an dessen Ende er einen Busch findet, der unzählige goldene Werkzeuge trägt. Eines dieser Werkzeuge ist ein goldener Schraubenschlüssel, der anscheinend genau die Größe seiner Bauchnabelschraube hat. Er nimmt sich diesen Schlüssel im Traum setzt ihn an seinen Bauchnabel. Und in der Tat – mit diesem Schlüssel öffnet sich seine goldene Schraube spielend.

 

Er wacht etwas benommen unter dem Baum im Himalaja auf. Er erinnert sich noch deutlich an den Traum. Plötzlich wird ihm klar, was er geträumt hat, und er reißt sich das Hemd aus der Hose und schaut auf seinen Bauch: Die goldene Schraube ist weg!

 

Ein Gefühl der Glückseligkeit durchströmt ihn. Er springt auf. Hinter sich hört er ein schepperndes Geräusch. Verwundert schaut er sich um und stellt fest, dass ihm der Hintern abgefallen ist.

 

 

(Bernhard Trenkle (1995): „Das Ha-Handbuch der Psychotherapie: Witze – ganz im Ernst“)

 

 

Froschaugen

 

Ein Mann hat furchtbare Froschaugen und sucht seit Jahren verzweifelte Hilfe bei Schönheitschirurgen. Aber alle Ärzte lehnen ob der möglichen Erblindungsgefahr ab. Nun sagen jedoch alle Frauen: „Du bist ja schon in Ordnung, aber über deine Froschaugen kann ich leider nicht hinwegsehen.“ So lässt er nichts unversucht, doch noch einen Chirurgen zu finden. Schließlich wird er in Argentinien fündig und jetzt sofort hin. Der Arzt weist ihn jedoch auf erhebliche Nebenwirkungen der geplanten Operation hin. Der Patient fragt nicht zu Unrecht bange, um welche Nebenwirkungen es sich handele. Der Arzt schildert die geplante Operation wie folgt: „Wir müssen ihre Hoden entfernen, und dann sinken die Augen in die Höhlen zurück, und sie werden hervorragend aussehen, das kann ich Ihnen jetzt schon versichern.“ Der Patient reist empört ab: „Was habe ich davon, was denken Sie, warum ich die Operation möchte?“ Jedoch, Jahr um Jahr vergeht, und keine der Frauen kann über besagte Augen hinwegsehen, und so entschließt sich der bedauernswerte Held unserer Geschichte schließlich doch zur Operation. „Dann sehe ich wenigstens gut aus“, schließt er messerscharf. In der Tat, kaum ist die Operation vollzogen, sinken die Augen zurück in die Höhlen, und ein beeindruckender Charakterkopf schaut in den Spiegel. Ob der günstigen Preise in Argentinien lässt er sich gleich einen hervorragenden Schneider empfehlen. Dort sucht er die besten Stoffe und Leder für Maßanzüge, Maßseidenhemden, Lederjacken, Hut und Schuhe aus. Der Schneider sagt: „Donnerstag können sie alles abholen.“ Unser Patient sagt: „Ich glaube, Sie sind sich nicht im klaren, was ich möchte. Ich möchte Maßanzüge, Maßhemden ...“ Der Schneider unterbricht: „Das geht in Ordnung – Donnerstag ist alles fertig.“ – „Ja wollen Sie denn nicht maßnehmen?“ Der Schneider lächelt milde: „Ich habe über zwanzig Jahre Berufserfahrung, Ihre Maße sehe ich auf einen Blick.“ Darauf wollte sich unser Patient jedoch nicht verlassen, worauf der Schneider anfing, ihm sein gutes Auge zu beweisen: „Sie haben Kragenweite 39, richtig? O.K., Sie haben Bundweite 35, richtig?“ So ging es weiter mit Hutgröße, Schuhgröße, Ärmellänge, die der Patient von früher noch im Kopf hatte. Dem Schneider machte es Spaß, zu zaubern und seine Erfahrung und sein gutes Auge zu dokumentieren. Er fuhr fort: „Sie haben Slipgröße 6!“ Nun unterbrach der Kunde jedoch: „Jetzt täuschen Sie sich doch. Ich trage Slipgröße 4.“ Der Schneider: Mich täuschen Sie nicht. Wenn Sie zu Ihrer Hose Slipgröße 4 tragen würden, kämen bei Ihnen die Augen raus wie bei einem Frosch.“

 

 

(Ha – Handbuch, S.111ff)

 

 

 

Nasruddin sucht ...

 

Mulla Nasrudin war auf allen vieren draußen unter einer Laterne, als ein Freund dazukam. „Was machst du da, Mulla?“ fragte sein Freund. „Ich suche nach meinem Schlüssel, den ich verloren habe.“ Also begab sich sein Freund ebenfalls auf alle viere, und beide suchten lange Zeit im Schmutz unter der Laterne herum. Da sie nichts fanden, wandte sein Freund sich schließlich an Nasrudin mit der Frage: „Wo genau hast du ihn verloren?“ Nasrudin antwortete: „Verloren hab ich in im Haus, aber hier draußen ist mehr Licht.“

 

 

 

Die Geschichte von den zwei Kindern im Leib der Mutter

 

Es geschah, dass in einem Mutterleib zwei Kinder heranwuchsen.

Die Wochen vergingen und die Jungen wurden immer größer. In dem Maße, in dem ihr Bewusstsein wuchs, stieg die Freude: „Sag, ist es nicht wunderbar, dass wir leben?!“

Die Zwillinge begannen, ihre Welt zu entdecken. Als sie aber die Schnur fanden, die sie mit ihrer Mutter verband und die ihnen Nahrung gab, da sangen sie vor Freude: „Wie groß ist die Liebe unserer Mutter, dass sie ihr eigenes Leben mit uns teilt!“

Als aber die Wochen vergingen und schließlich zu Monaten wurden, merkten sie plötzlich, wie sehr sie sich verändert hatten.

„Was soll das heißen?“, fragt der eine.

„Das heißt“, antwortete der andere, „dass unser Aufenthalt in dieser Welt bald seinem Ende zugeht.“

„Aber ich will gar nicht gehen“, erwiderte der eine, „ich möchte für immer hier bleiben.“

„Wir haben keine andere Wahl“, entgegnete der andere, „aber vielleicht gibt es ein Leben nach der Geburt!“

„Wie könnte das sein?“, fragte zweifelnd der erste, „wir werden unsere Lebensschnur verlieren, und wie sollen wir ohne sie leben können? Und außerdem haben andere vor uns diesen Schoß verlassen, und Niemand von ihnen ist zu uns zurückgekommen und hat uns gesagt, dass es Leben nach der Geburt gibt. Nein, die Geburt ist das Ende!“

So fiel der eine von ihnen in tiefen Kummer und sagte: „Wenn das Leben mit der Geburt endet, welchen Sinn hat dann das Leben? Es ist sinnlos. Womöglich gibt es gar keine Mutter hinter allem?“

„Aber sie muss doch existieren“, antwortete der andere, „wie sollten wir sonst hierhergekommen sein? Und wie könnten wir am Leben bleiben?“

„Hast du je unsere Mutter gesehen?“, fragte der eine. „Womöglich lebt sie nur in unserer Vorstellung. Wir haben sie uns erdacht, weil wir dadurch unser Leben besser verstehen können.“

Und so waren die letzten Tage im Schoß der Mutter gefüllt mit vielen Fragen und großer Angst.

Schließlich kam der Moment der Geburt. Als die Zwillinge ihre Welt verlassen hatten, öffneten sie ihre Augen. Sie schrien. Was sie sahen, übertraf ihre kühnsten Träume.

 

(Aus Amerika, überliefert von Pfarrer H. Hoffmann, Hannover, gefunden bei Klaus Berger, Wie kommt das Ende der Welt, Stuttgart 1999, 227f, leicht überarbeitet von Hartmut Smoor, Meppen)

 

 

 

Eine andere Version der gleichen Geschichte:

 

Gibt es ein Leben nach der Geburt?

 

Ein ungeborenes Zwillingspärchen unterhält sich im Bauch der Mutter.

„Sag mal, glaubst Du eigentlich an ein Leben nach der Geburt?“ fragt der eine Zwilling.

„Ja, auf jeden Fall! Hier drinnen wachsen wir und werden stark für das was draußen kommen wird.“ antwortet der andere Zwilling.

„Ich glaube, das ist Blödsinn!“ sagte der erste. „Es kann kein Leben nach der Geburt geben – wie sollte das denn bitteschön aussehen?“

„So ganz genau weiß ich das auch nicht. Aber es wird sicher heller als hier sein. Und vielleicht werden wir herumlaufen und mit dem Mund essen?“

„So einen Unsinn habe ich noch nie gehört! Mit dem Mund essen, was für eine verrückte Idee. Es gibt doch die Nabelschnur, die uns ernährt. Und wie willst du herumlaufen? Dafür ist die Nabelschnur viel zu kurz.“

„Doch es geht ganz bestimmt. Es wird eben alles nur ein bisschen anders.“

„Du spinnst! Es ist noch nie einer zurückgekommen von 'nach der Geburt'. Mit der Geburt ist das Leben zu Ende Punktum.“

„Ich gebe ja zu, dass keiner weiß, wie das Leben nach der Geburt aussehen wird. Aber ich weiß, dass wir dann unsere Mutter sehen werden und sie wird für uns sorgen.“

„Mutter??? Du glaubst doch wohl nicht an eine Mutter? Wo ist sie denn bitte?“

„Na hier – überall um uns herum. Wir sind und leben in ihr und durch sie. Ohne könnten wir gar nicht sein!“

„Quatsch! Von einer Mutter habe ich noch nie etwas bemerkt, also gibt es sie auch nicht.“

„Doch manchmal, wenn wir ganz still sind, kannst du sie singen hören. Oder spüren, wenn sie unsere Welt streichelt....“

 

Geschichte nach Henry Nouwen

aus: Worte zum Nachdenken und Weiterschenken

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Leiden des jungen Franzl

 

Die Leiden des jungen Franzl erreichten ihren Höhepunkt, als er als dreizehnjähriger Gymnasiast vor einem großen Blumenbeet stand und davor eine kleine Tafel mit der Inschrift entdeckte: Das Betreten der Beete ist bei Strafe verboten. Dies löste bei ihm ein in den letzten Jahren immer wieder aufgetauchtes Problem aus, denn wieder einmal schien die Lage der Dinge ihm nur eine von zwei Möglichkeiten offenzulassen, und beide waren unannehmbar: entweder seine Freiheit gegenüber dieser Unterdrückung durch die Obrigkeit zu behaupten und im Blumenbeet herumzutrampeln, gleichzeitig aber auch zu riskieren, erwischt zu werden; oder dies nicht zu tun. Aber schon beim Bloßen Gedanken einem schäbigen Schild gehorchen zu müssen, kam ihm die Wut über die Feigheit einer solchen Unterwerfung. Lange stand er da, unentschlossen, ratlos, bis ihm plötzlich, vielleicht deswegen, weil es ihm noch nie eingefallen war Blumen anzusehen, etwas völlig anderes in den Sinn kam, nämlich: Die Blumen sind wunderschön.

 

Aus Paul Watzlawick: „Vom Schlechten des Guten“

 

 

Die Familie der weißen Wolken

 

Die Familie der weißen Wolken, die über den Himmel zieht, teilt sich in zwei Gruppen: auf der einen Seite die große Menge der Wolken, die ein Ziel haben, nämlich den warmen Süden. Sie leiden sehr viel, nämlich immer dann, wenn der Wind sie nach Norden, Westen oder Osten bläst. Auf der anderen Seite gibt es noch eine kleine Gruppe, die erkannt hat, dass es ihre Bestimmung als Wolken ist, vom Winde getrieben zu werden. Sie haben kein Ziel oder nur das eine, ihrem Weg, ihrer Bestimmung, dem Wind zu folgen – und so sind sie immer in Harmonie mit sich und dem Ziel. Am Ende des Tages aber sind alle Wolken am selben Ort.

Das ist die Wahl-Freiheit der Wolken und der Menschen.

 

Aus Rüdiger Dahlke: Das Mandala-Malbuch

Ein Wanderer

Ein Wanderer: "Wie wird das Wetter heute?"
Der Schäfer: "So, wie ich es gerne habe."
"Woher wisst Ihr, dass das Wetter so sein wird, wie Ihr es liebt?
"Ich habe die Erfahrung gemacht, mein Freund, dass ich nicht immer das bekommen kann, was ich gerne möchte. Also habe ich gelernt, immer das zu mögen, was ich bekomme. Deshalb bin ich ganz sicher: das Wetter wird heute so sein, wie ich es mag."


Aus Anthony de Mello: Zeiten des Glücks

 

Zwei Wölfe

Ein alter Indianer saß mit seinem Enkelsohn am Lagerfeuer. Es war schon dunkel geworden und das Feuer knackte, während die Flammen in den Himmel züngelten.

 

Der Alte sagte nach einer Weile des Schweigens:

„Weißt Du, wie ich mich manchmal fühle? Es ist, als ob da zwei Wölfe in meinem Herzen miteinander kämpfen würden. Einer der beiden ist rachsüchtig, aggressiv und grausam. Der andere hingegen ist liebevoll, sanft und mitfühlend.“

 

„Welcher der beiden wird den Kampf um dein Herz gewinnen?“ fragte der junge.

 

„Der Wolf, den ich füttere“ antwortete der Alte.

 

(Quelle: ?)

 

 

Die Verblendung

 

Ein Zirkus erwarb einen Eisbären. Doch da sie ihn nur zum Ausstellen brauchten, wurde er in einen Wagen gesperrt. Der war so eng, dass er sich nicht einmal umdrehen konnte – und so ging er nur zwei Schritte vor und zwei zurück.

 

Nach vielen Jahren hatten sie Mitleid mit ihm und verkauften ihn an einen Zoo. Dort fand er ein weites Gehege zum Auslauf. Doch auch hier ging er immer nur zwei Schritte vor und zwei zurück. Als ihn deshalb ein anderer Eisbär fragte: „Warum tust du das?“, gab er zur Antwort: „Weil ich so lange in einem Wagen eingesperrt war.“

 

(Bert Hellinger)

 

 

Die Hühner

 

Ein Therapeut wohnte auf einem idyllischen, großen Anwesen mit alter Mühle, Ställen und großen Wiesen. Er hatte schon ein paar Pferde. Da wollte er sich nun auch einige Hühner anlegen.

 

Er ging zum Markt und kaufte dort von einem Händler arg zerzaustes Federvieh, das man auch KZ-Hühner nannte, weil die Tiere bisher in engen Käfigen lebten. Der Therapeut wollte ihnen etwas Gutes tun.

 

Zu Hause angekommen stellte er den Karton in den großen Stall und ließ die armen Viecher frei. Er dachte, sie würden ihre Freiheit genießen und sofort den Weg in hinaus suchen. Das Tor auf die Wiese war weit offen. Die Hühner jedoch schauten sich nur ängstlich um und setzten vorsichtig ein Bein vor das andere. Sie blieben im Stall – drei oder vier Wochen lang. Dann endlich – aus der Sicht des Therapeuten – fanden sie den Weg hinaus zum saftigen Grün und pickten und pickten und pickten.

 

(Nacherzählt nach einer Schilderung von Dr. Ingo Gerstenberg)

Das Aquarium

 

In einem Experiment teilten Forscher einmal ein Aquarium durch eine Glasscheibe. In eine Hälfte wurden Fische ausgesetzt. Nach einiger Zeit – ich weiß nicht ob es Tage oder Wochen waren – wurde die Trennscheibe entfernt. Dennoch blieben die Fische in ihrer vertrauten Hälfte und schwammen lange Zeit nur dort herum.

 

Die Parabel vom Schmetterling                      

                                           
Eines Tages erschien eine kleine Öffnung in einem Kokon; ein Mann beobachtete den zukünftigen Schmetterling für mehrere Stunden, wie dieser kämpfte, um seinen Körper durch jenes winzige Loch zu zwängen. Dann plötzlich schien er nicht mehr weiter zu kommen. Es schien als ob er so weit gekommen war wie es ging, aber jetzt aus eigener Kraft nicht mehr weitermachen konnte. So beschloss der Mann, ihm zu helfen: Er nahm eine Schere und machte den Kokon auf. Der Schmetterling kam dadurch sehr leicht heraus. Aber er hatte einen verkrüppelten Körper, er war winzig und hatte verschrumpelte Flügel. Der Mann beobachtete das Geschehen weiter, weil er erwartete, dass die Flügel sich jeden Moment öffnen und sich ausdehnen würden, um den Körper des Schmetterlings zu stützen und ihm Spannkraft zu verleihen. Aber nichts davon geschah Stattdessen verbrachte der Schmetterling den Rest seines Lebens krabbelnd mit einem verkrüppelten Körper und verschrumpelten Flügeln. Niemals war er fähig zu fliegen. Was der Mann in seiner Güte und seinem Wohlwollen nicht verstand, dass der begrenzende Kokon und das Ringen, das erforderlich ist damit der Schmetterling durch die kleine Öffnung kam, der Weg der Natur ist, um Flüssigkeit vom Körper des Schmetterlings in seine Flügel zu fördern. Dadurch wird er auf den Flug vorbereitet sobald er seine Freiheit aus dem Kokon erreicht. Manchmal ist das Ringen genau das, was wir in unserem Leben benötigen. Wenn wir durch unser Leben ohne Hindernisse gehen dürfen, würde es uns lahm legen. Wir wären nicht so stark, wie wir sein könnten, und niemals fähig zu fliegen. (Verfasser unbekannt)

 

 

Der Esel, der in den Brunnen fiel...

 

Eines Tages fiel der Esel eines Bauern in einen Brunnen.
Das Tier schrie stundenlang, als der Bauer herauszufinden suchte, was zu tun ist. Schließlich entschied er, dass das Tier alt ist, und der Brunnen muss sowieso abgedeckt werden; es war ihm nicht wert, den Esel herauszuholen.

Er lud alle Nachbarn ein, ihm zu helfen. Alle nahmen eine Schaufel und begannen Erde in den Brunnen zu schaufeln. Der Esel erkannte was los war und weinte zunächst fürchterlich. Dann zu aller Überraschung beruhigte er sich.

Ein paar Schaufeln später schließlich sah der Bauer in den Brunnen. Er war erstaunt über das was er sah. Mit jeder Schaufel voller Erde, die seinen Rücken traf, tat der Esel etwas Erstaunliches. Er schüttelte es ab und machte einen Schritt nach oben.

Als die Nachbarn weiter Erde auf den Rücken des Tieres schaufelten, schüttelte er es ab und machte einen Schritt nach oben. Ziemlich bald waren alle erstaunt, als der Esel über den Rand des Brunnens trat und davon trabte.

 

(?)

 

Geschichte von Gott

(Hermann van Veen)

Als Gott nach langem Zögern wieder mal nach Hause ging, war es 
schön; sagenhaftes Wetter! Und das erste was Gott tat, war: 
die Fenster sperrangelweit zu öffnen, um sein Häuschen gut zu lüften. 

Und Gott dachte: Vor dem Essen werde ich mir noch kurz die 
Beine vertreten. Und er lief den Hügel hinab zu jenem Dorf, 
von dem er genau wusste, dass es da lag. 

Und das erste, was Gott auffiel, war, dass da mitten im Dorf 
während seiner Abwesenheit etwas geschehen war, was er nicht 
erkannte. Mitten auf dem Platz stand eine Masse mit einer 
Kuppel und einem Pfeil, der pedantisch nach oben wies. 

Und Gott rannte mit Riesenschritten den Hügel hinab, stürmte 
die monumentale Treppe hinauf und befand sich in einem un- 
heimlichen, nasskalten, halbdunklen, muffigen Raum. 

Und dieser Raum hing voll mit allerlei merkwürdigen Bildern, 
viele Mütter mit Kind mit Reifen überm Kopf und ein fast sadistisches Standbild von einem Mann an einem Balkengerüst. 
Und der Raum wurde erleuchtet von einer Anzahl fettiger, gelblich- 
weißer, chamoistriefener Substanzen, aus denen Licht leckte. 

Er sah auch eine höchst unwahrscheinliche Menge kleiner Kerle 
herumlaufen mit dunkelbraunen und schwarzen Kleidern und 
dicken Büchern unter müden Achseln, die selbst aus einiger 
Entfernung leicht modrig rochen. 

"Komm mal her! Was ist das hier ?" 

Was ist das hier! Das ist eine Kirche, mein Freund. 
Das ist das Haus Gottes." 

"Aha ... wenn das hier das Haus Gottes ist, Junge, warum 
blühen hier dann keine Blumen, warum strömt dann hier kein 
Wasser und warum scheint dann hier die Sonne nicht, Bürschchen?!" 

"...das weiß ich nicht." 

(gegoogelt im Internet, ich hatte einst die LP)

 

 

 

Der entspannte Bogen

 

Es heißt, dass der alte Apostel Johannes gern mit seinem zahmen Rebhuhn spielte.

 

Nun kam ein Tages  ein Jäger zu ihm. Verwundert sah er, dass ein so angesehener Mann wie Johannes einfach spielte. Konnte der Apostel seine Zeit nicht mit viel Wichtigerem als mit einem Rebhuhn verbringen?

 

So fragte er Johannes: „Warum vertust du deine Zeit mit Spielen? Warum wendest du deine Aufmerksamkeit einem nutzlosen Tier zu?“

 

Verwundert blickte Johannes auf. Er konnte gar nicht verstehen, warum er nicht mit dem Rebhuhn spielen sollte.

 

Und so sprach er: „Weshalb ist der Bogen in deiner Hand nicht gespannt“?“

 

Der Jäger antwortete: „Das darf nicht sein. Ein Bogen verliert seine Spannkraft, wenn er immer gespannt wäre. Er hätte dann, wenn ich einen Pfeil abschießen wollte, keine Kraft mehr. Und so würde ich natürlich das anvisierte Ziel nicht treffen können.“

 

Johannes sagte daraufhin: „Siehst du, so wie du deinen Bogen immer wieder entspannst, so müssen wir alle uns immer wieder entspannen und erholen. Wenn ich mich nicht entspannen würde, indem ich z.B. einfach ein wenig mit diesem – scheinbar so nutzlosen – Tier spiele, dann hätte ich bald keine Kraft mehr, all das zu tun, was notwendig ist. Nur so kann ich meine Ziele erreichen und das tun, was wirklich wichtig ist.“

 

Quelle: „Die Wow-Präsentation“

von Wolf W. Lasko und Iris Seim,

Geschichte leicht geändert

 

 

Der Fuchs und die Weintrauben

 

Der Fuchs war hungrig. Schon seit Tagen

hatte er nichts zwischen seinen Zähnen gehabt.

Ein Kaninchen war ihm entwischt.

Und als er eine Gans stehen wollte,

war der Bauer über ihn hergefallen

und hatte ihm den Rücken gebläut.

Jetzt knurrte sein Magen, dass es ihm weh tat,

denn nichts ist schlimmer als ein leerer Bauch.

Plötzlich schnüffelte er. Aus einem Garten

kam ein süßer, köstlicher Duft. Der Fuchs

zwängte sich durch den Zaun und

blickte hoch. Da war ein Weinstock, der

voll reifer, purpurblauer Trauben hing.

Die müssen herrlich schmecken, dachte der Fuchs,

stellte sich auf die Hinterbeine

und versuchte, die Trauben zu erreichen,

doch sie hingen zu hoch. Aber ein Fuchs

ist ein Fuchs! Er trat etwas zurück und probierte,

durch Springen an die Früchte zu kommen,

was ihm aber auch misslang.

Er überkugelte sich und fiel in den Sand.

Immer wieder versuchte er es, doch alles

vergeblich. Am Ende war er so erschöpft, dass er

die Sache aufgab und sich aus dem Garten schlich.

Dabei sagte er wütend: „Wer isst schon diese Trauben!

Jeder kann sehen, dass sie sauer sind.“

 

(alte Fabel, über 2000 Jahre alt)

 

 

Irgendetwas fiel herunter

 

Als Nasrudins Frau einen gewaltigen dumpfen Schlag hörte, rannte sie hinauf in sein Zimmer.

 

„Reg dich nicht auf!“ sagte der Mulla, es war nur mein Mantel, der auf den Boden fiel.“

 

„Was und das machte so einen Krach?“

„Ja, ich hatte ihn gerade an.“

 

(Shah, 1984)

 

 

Es ist alles ganz einfach...

 

Ein Mann ging durch die Gassen einer Altstadt, in der lauter kleiner Geschäfte nebeneinander waren. Da waren Künstler, Handwerker und Kaufleute, die Ihre Waren und Werke in den Schaufenstern ausstellten und feilboten.

 

An einem Fenster blieb unser Mann stehen. Er bestaunte lauter kleinere und größere Löwen, die als kunstfertige Bildhauerarbeiten aus Stein oder Holz sein Auge fesselten. Nachdem er eine Weile schaute, ging er schließlich in den Laden hinein. Dort entdeckte er in einer Ecke einen Mann, der leicht gebeugt an einem Werkstück hämmerte, raspelte und feilte. Nachdem er ihm eine längere Zeit fasziniert über die Schulter geschaut hatte, sprach er ihn schließlich voller Bewunderung an. „Eine wunderbare Kunst, die ihr betreibt. Das ist sicher sehr schwierig, den Löwen so herauszuarbeiten, dass er nachher so prachtvoll anzuschauen ist.“ „Ach“, antwortete der Künstler, „das ist eigentlich ganz einfach. Ich haue einfach alles weg, was nicht nach Löwe aussieht.“

 

(mündlich überliefert,  so ähnlich von Michelangelo – s.u.)

Die Statue des Michelangelo

Eines Tages erhielt Michelangelo von einer reichen Familie den Auftrag, eine Statue von außergewöhnlicher Schönheit zu erstellen.
Daraufhin suchte er lange nach einem geeigneten Marmorblock, bis er schließlich in einer Seitenstraße einen fast vollkommen von Unkraut überwucherten Block fand, der dort vergessen worden war.
Diesen Marmorblock ließ Michelangelo von seinen Arbeitern in sein Atelier bringen.
Dann begann er damit, die Statue des David aus dem Stein zu hauen.
Dafür brauchte er zwei ganze Jahre. Und zwei weitere Jahre dauerte es, bis die Statue durch Schleifen und Polieren fertig war.
Als die Statue feierlich enthüllt wurde, waren viele Menschen gekommen, um die unvergleichliche Schönheit des David zu bewundern. Man fragte Michelangelo, wie es ihm denn möglich gewesen war, eine so wunderschöne Statue zu erschaffen.
Lächelnd antwortete der Bildhauer: "Der David ist schon immer da gewesen. Ich musste lediglich den überflüssigen Marmor um ihn herum entfernen."

(?)

 

DIE DREI SÖHNE
 
Drei Frauen kommen an einen Brunnen, um Wasser zu schöpfen. Sie erzählen von ihren drei Söhnen.
„Meinen Sohn solltet ihr singen hören“, sagte die erste, „das tönt so schön, als wenn eine Nachtigall singen würde.“ Die zweite sagte: „Mein Sohn ist stark und schnell. Er schleudert einen Stein fast bis zu den Wolken und fängt ihn wieder auf.“                           
Die dritte schweigt. Da fragten die anderen: “Und dein Sohn?“ „Was soll ich erzählen“, sagt sie, „mein Sohn ist ein junger Bursche wie andere auch.“
Nun machten sich die drei Frauen auf den Heimweg. Die Sonne brennt, der Wassereimer wird schwer. Da kommen den drei Frauen deren drei Söhne entgegen. Der erste singt so schön wie eine Nachtigall, der zweite schleudert Steine in die Luft und fängt sie wieder. Der dritte aber läuft zu seiner Mutter und nimmt ihr den Eimer ab.
Ein alter Mann neben dem Brunnen hat alles mit angesehen. Eine der drei Frauen fragt ihn: „Nun, was sagst du zu unseren drei Söhnen?“
Drei Söhne?“, fragte der Alte, „Ich sehe nur einen!“
 
                                                                                                        Leo. N. Tolstoi

 

 

Das Geheimnis der Zufriedenheit - eine weise Geschichte

Es kamen ein paar Suchende zu einem alten Zenmeister.

"Herr", fragten sie "was tust du, um glücklich und zufrieden zu sein? Wir wären auch gerne so glücklich wie du."

Der Alte antwortete mit mildem Lächeln: "Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf. Wenn ich gehe, dann gehe ich und wenn ich esse, dann esse ich."

Die Fragenden schauten etwas betreten in die Runde. Einer platzte heraus: "Bitte, treibe keinen Spott mit uns. Was du sagst, tun wir auch. Wir schlafen, essen und gehen. Aber wir sind nicht glücklich. Was ist also dein Geheimnis?"

Es kam die gleiche Antwort: "Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf. Wenn ich gehe, dann gehe ist und wenn ich esse, dann esse ich."

Die Unruhe und den Unmut der Suchenden spürend, fügte der Meister nach einer Weile hinzu: "Sicher liegt auch Ihr und Ihr geht auch und Ihr esst. Aber während Ihr liegt, denkt Ihr schon ans Aufstehen. Während Ihr aufsteht, überlegt Ihr wohin Ihr geht und während Ihr geht, fragt Ihr Euch, was Ihr essen werdet. So sind Eure Gedanken ständig woanders und nicht da, wo Ihr gerade seid. In dem Schnittpunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft findet das eigentliche Leben statt. Lasst Euch auf diesen nicht messbaren Augenblick ganz ein und Ihr habt die Chance, wirklich glücklich und zufrieden zu sein."

(www.lichtkreis.at)

 

Neun Silberstücke

 

Im Traum sah Nasrudin, wie ihm Münzen in die Hand gezählt wurden. Als er neun Silberstücke hatte, hörte der unsichtbare Geber auf.

 

„Ich muss zehn haben!“ rief Nasrudin, - so laut, dass er davon aufwachte.

 

Als er merkte, dass das ganze Geld verschwunden war, schloss er die Augen wieder und murmelte: „Also gut, gib sie her, ich bin auch mit neun zufrieden.“

 

(Shah, 1984)

 

 

Nahrung  fürs Gewand

 

Nasrudin hörte, dass in der nahe gelegenen Stadt ein Bankett stattfinde und jedermann dazu eingeladen sei. Er eilte dorthin, so schnell er konnte. Als der Zeremonienmeister ihn in seinem zerlumpten Gewande sah, setzte er ihn an den unauffälligsten Platz, weit weg von der großen Festtafel, an der die vornehmen Gäste bedient wurden.

Nasrudin sah, dass es mindestens eine Stunde dauern würde, bis die Diener zu dem Platz kämen, an dem er saß. So stand er auf und ging heim.

Er kleidete sich in einen prächtigen Mantel und Turban aus Zobelpelz und ging wieder auf das Fest. Sobald die Herolde des Emirs, des Hausherrn, diesen prächtigen Auftritt sahen, schlugen sie die Trommeln zum Willkommen und ließen die Trompeten erschallen, so wie es einem Besucher von hohem Range gebührt.

Der Hofmeister kam selbst aus dem Palast und führte den kostbar gekleideten Nasrudin zu einem Platz in nächster Nähe des Emirs. Sogleich wurde ihm eine Schüssel mit einem erlesenen Gericht vorgesetzt. Ohne zu zögern machte Nasrudin sich daran, Händevoll Essen in seinen Turban und sein Gewand zu stopfen.

„Eminenz“, sagte der Prinz, „ich wüsste gerne, was es mit Euren Essensgewohnheiten auf sich hat, sie sind mir neu.“

„Nichts Besonderes“, sagte Nasrudin, das Gewand hat mich hier an Eure Seite gebracht und verschaffte mir das gute Essen. Hat es da nicht seinen Anteil verdient?“

 

(Shah, 1984)

 

 

Die Schnur

Es war einmal ein indischer König namens Akbar.
Eines Tages spannte er eine Schnur und forderte seine Minister auf:
Schneidet diese Schnur nicht ab, verknotet sie nicht, doch verkürzt sie auf eine andere Art und Weise.
Die Minister dachten lange nach, kamen aber zu keinem Ergebnis.
Schließlich stand einer der weisesten Männer auf und spannte eine längere Schnur daneben.
Durch diese zweite, längere Schnur wurde die erste automatisch verkürzt,
ohne jedoch verknotet oder abgeschnitten zu werden.
Da sagte König Akbar:
So sollten auch wir die Meinung eines anderen weder umbiegen noch beschneiden, sondern nur unsere eigene Schnur daneben spannen.
Dann mögen die anderen selbst entscheiden, was länger oder kürzer – was besser oder schlechter ist.

(?)

 

 

 

Wer bin ich?

 

Nach einer langen Reise fand Nasrudin sich mitten im mahlenden Menschengedränge von Bagdad. Es war die größte Stadt, die er je gesehen Hatte, und die durch die Straßen strömende Menschenmenge verwirrte ihn.

 

„Ich möchte wissen, wie es die Leute machen, um sich hier nicht selbst zu verlieren und überhaupt noch zu wissen, wer sie sind“, so grübelte er.

 

Dann dachte er: „Ich muss mich gut an mich erinnern, sonst gehe ich mir womöglich verloren.“

 

Er eilte in eine Karawanserei. Ein Spaßvogel saß auf einem Bette neben dem, dass man Nasrudin zugewiesen hatte. Nasrudin wollte ein Schläfchen halten, aber er hatte eine Schwierigkeit: Wie sollte er sich wiederfinden, wenn er aufwachte?

 

Er vertraute sich seinem Nachbarn an.

„Ganz einfach“, sagte der Spaßvogel, hier ist ein aufgeblasener Ballon. Binde ihn an deinem Bein fest und lege dich schlafen. Wenn du aufwachst, schau dich nach dem Mann mit dem Ballon um, und der bist du.“ „Großartige Idee!“ sagte Nasrudin.

 

Ein paar Stunden später wachte der Mulla auf. Er schaute sich nach dem Ballon um und entdeckte ihn am Bein des Spaßvogels. „Da bin ich ja!“ dachte er. Dann aber trommelte er den anderen Mann in wahnsinniger Angst aus dem Schlaf. Der Mann erwachte und fragte was los sei.

 

„Es ist geschehen, was ich befürchtete.“

 

Nasrudin zeigte auf den Ballon: „Wegen des Ballons kann ich sagen, dass du ich bist. Aber -wenn du ich bist – wer um Gottes willen, bin denn ich?“

 

(Idries Shah, 1984)

 

Auf Bärenjagd

 

Der König, der die Gesellschaft Nasrudins gerne sah, ließ ihn eines Tages rufen, um mit auf Bärenjagd zu gehen.

Bären sind gefährlich. Nasrudin war entsetzt, wenn er bloß daran dachte, was ihm bevorstand. Aber er musste nun einmal daran glauben.

Als er ins Dorf zurückkam, fragte ihn jemand: „Wie verlief die Jagd?“

„Ganz wunderbar!“

„Wie viele Bären hast du erlegt?“

„Keinen.“

„Auf wie viele hast du Jagd gemacht?“

„Auf keinen.“

„Wie viele hast du denn gesehen?“

„Keinen.“

„Wieso war es denn so wunderbar?“

„Wenn man auf Bärenjagd geht, ist ´keiner´ mehr als genug.“

 

(Shah, 1984)

 

 

 

 

 

 

Das gelüftete Geheimnis

 

In hohem Alter erhielt Mulla Nasrudin einst Besuch von einem Mann, der vom äußeren Gehabe der Meister besonders fasziniert war.

„Wie wunderbar“, begann der Sucher, „dass Sie ein solch ehrwürdiges Alter erreicht haben und weithin und zu Recht für ihren entsagenden Lebenswandel gerühmt werden. Welches sind die hervorstechendsten Merkmale ihrer Disziplin?“

 

„Zuallererst, “ dröhnte der Mulla, „bin ich strikter Vegetarier, zweitens bleibe ich allezeit heiter, bleibe in jeder Lebenssituation und bei allen Menschen stets gelassen, ich verliere niemals meine Ruhe ...“

 

Großer Lärm, lautes Gebrüll und Geschrei Aus der Küche unterbrachen ihn, und der Besucher blickte sich erstaunt um.

 

„Oh, achten Sie nicht darauf“, sagte der Mulla gelassen, „das ist nur mein berühmter Vater, der gerade den Metzger verprügelt, weil er das Fleisch so spät geliefert hat ...“

 

(Idries Shah, 1984)

 

 

 

Spiegelei

 

Der Mann ist gerade dabei, ein Spiegelei zu braten, als die Frau nach Hause kommt und anfängt zu schreien:
ACHTUNG! ACHTUNG! MEHR ÖL! WIR BRAUCHEN MEHR ÖL! ES WIRD ANBRENNEN! ACHTUNG! UMDREHEN, UMDREHEN, UMDREHEN... LOS! ACHTUNG! BIST DU VERRÜCKT! DAS ÖL WIRD AUSLAUFEN! OH, MEIN GOTT, DAS SALZ! VERGISS NICHT DAS SALZ!
Der Mann, schon völlig genervt von den Schreien seiner Frau, fragt sie:
"Warum schreist du so? Meinst du, ich kann kein Spiegelei braten?"
Die Frau antwortet ganz ruhig:
"Damit du mal eine Ahnung hast, wie es mir beim Autofahren geht, wenn du neben mir sitzt."

 

(?)

 

Der Glaube

 

Jemand erzählt, er habe zweien zugehört, die sich darüber unterhielten: „Wie hätte Jesus reagiert, hätte er einem Kranken zugerufen: „Steh auf nimm dein Bett und geh nach Hause.“, und der hätte geantwortet: „Ich will aber nicht“?“

 

Schließlich meinte einer von den beiden: „Wahrscheinlich hätte Jesus zuerst geschwiegen. Doch dann hätte er sich zu seinen Jüngern gewandt und gesagt: „Der gibt Gott mehr Ehre als ich“.“

 

(Bert Hellinger)

 

 

Drei Maurer

 

Drei Maurer arbeiten am Bau einer Kathedrale.

Ein Vorübergehender fragt den ersten,

was er da tue.

Die mürrische Antwort:

„Na, das sehen sie doch. Ich mauere.“

Ein paar Schritte weiter arbeitet der

zweite Maurer.

Auch er wird gefragt – und antwortet:

„Ich ziehe eine Mauer hoch.“

Schließlich die gleiche Frage an den

dritten Maurer.

Der sagt voller Stolz:

„Ich helfe eine Kathedrale bauen.“

 

Nach Joachim Ernst Behrendt

 

 

Die Antwort (Freiheit)

 

Ein Jünger wandte sich an einen Meister: „Sage mir, was Freiheit ist!“

 

„Welche Freiheit?“ fragte ihn der Meister.

 

„Die erste Freiheit ist die Torheit. Sie gleicht dem Ross, das seinen Reiter wiehernd abwirft. Doch umso fester spürt es nachher seinen Griff.

 

Die zweite Freiheit ist die Reue. Sie gleicht dem Steuermann, der nach dem Schiffbruch auf dem Wrack zurückbleibt, statt dass er in die Rettungsboote steigt.

 

Die dritte Freiheit ist die Einsicht. Sie kommt nach der Torheit und nach der Reue. Sie gleicht dem Halm, der sich im Winde wiegt und weil er, wo er schwach ist, nachgibt, steht.“

 

Der Jünger fragte: „Ist das alles?“

 

Darauf der Meister: „Manche meinen, sie selber suchten nach der Wahrheit ihrer Seele. Doch die große Seele denkt und sucht durch sie. Wie die Natur kann sie sich sehr viel Irrtum leisten, denn falsche Spieler ersetzt sie laufend mühelos durch neue. Dem aber, der sie denken lässt, gewährt sie manchmal etwas Spielraum, und wie ein Fluss den Schwimmer, der sich treiben lässt, trägt sie ihn mit vereinter Kraft ans Ufer.“

 

(Bert Hellinger)

Der Glaube

 

Jemand erzählt, er habe zweien zugehört, die sich darüber unterhielten: „Wie hätte Jesus reagiert, hätte er einem Kranken zugerufen: „Steh auf nimm dein Bett und geh nach Hause.“, und der hätte geantwortet: „Ich will aber nicht“?“

 

Schließlich meinte einer von den beiden: „Wahrscheinlich hätte Jesus zuerst geschwiegen. Doch dann hätte er sich zu seinen Jüngern gewandt und gesagt: „Der gibt Gott mehr Ehre als ich“.“

 

(Bert Hellinger)

 

Das Versteck der Weisheit

 

Vor langer Zeit überlegten die Götter, dass es sehr schlecht wäre, wenn die Menschen die Weisheit des Universums finden würden, bevor sie tatsächlich reif genug dafür wären. Also entschieden die Götter, die Weisheit des Universums so lange an einem Ort zu verstecken, wo die Menschen sie solange nicht finden würden, bis sie reif genug sein würden.

 

Einer der Götter schlug vor, die Weisheit auf dem höchsten Berg der Erde zu verstecken. Aber schnell erkannten die Götter, dass der Mensch bald alle Berge erklimmen würde und die Weisheit dort nicht sicher genug versteckt wäre. Ein anderer schlug vor, die Weisheit an der tiefsten Stelle im Meer zu verstecken. Aber auch dort sahen die Götter die Gefahr, dass die Menschen die Weisheit zu früh finden würden.

 

Dann äußerte der weiseste aller Götter seinen Vorschlag: "Ich weiß, was zu tun ist. Lasst uns die Weisheit des Universums im Menschen selbst verstecken. Er wird dort erst dann danach suchen, wenn er reif genug ist, denn er muss dazu den Weg in sein Inneres gehen."

 

Die anderen Götter waren von diesem Vorschlag begeistert und so versteckten sie die Weisheit des Universums im Menschen selbst.

 

(Verfasser unbekannt, aus Rüdiger Dahlke, „Das Mandala-Malbuch“))

 

 

Die Blinden und der Elefant

 

In einem fernen Land stritten sich die Gelehrten einmal darüber, was Wahrheit ist.

Der König, ein wirklich weiser Mann, rief daraufhin einige Blinden zu sich und bat sie, einen Elefanten zu betasten. Danach fragte er, was denn ein Elefant ist.

Der Blinde, der die Ohren berührt hatte, sagte, dass ein Elefant groß und platt ist, derjenige, der den Rüssel berührt hatte, sagte, dass ein Elefant lang und rund wie ein Rohr ist.

„Nein, das stimmt nicht“, rief ein anderer, „ein Elefant ist so stämmig wie eine Säule“.

Dieser Blinde hatte die Beine betastet. Der vierte Blinde berichtete, dass seiner Meinung nach ein Elefant lang und glatt und am Ende spitz ist. Er meinte damit die Stoßzähne.

Schließlich unterbrach der König sie und sagte: „ Ihr habt alle recht, aber jeder hat nur ein kleines Stück des Elefanten beschrieben. Genauso ist es mit der Wahrheit:

Was wir sehen oder wahrnehmen, ist oft nur ein kleiner Teil dessen, was wirklich ist.“

 

(www.lichtkreis.at)

 

 

 

Die Liebe

 

Einem Mann träumte in der Nacht, er habe die Stimme Gottes gehört, die ihm sagte: „Steh auf, nimm deinen Sohn, deinen einzigen geliebten, führe ihn auf den Berg, den ich dir zeigen werde, und bringe ihn mir dort zum Schlachtopfer dar!“

 

Am Morgen stand der Mann auf, schaute seinen Sohn an, seinen einzigen geliebten, schaute seine Frau an, die Mutter des Kindes, schaute seinen Gott an.“

 

Er nahm das Kind, führte es auf den Berg, baute einen Altar, band ihm die Hände, zog das Messer und wollte es schlachten. Doch da hörte er noch eine andere Stimme, und er schlachtete, statt seines Sohnes, ein Schaf.

 

Wie schaut der Sohn den Vater an?

Wie der Vater den Sohn?

Wie die Frau den Mann?

Wie der Mann die Frau?

Wie schauen sie Gott an?

Und wie schaut Gott – wenn es ihn gibt – sie an?

 

Noch einem anderen Mann träumte in der Nacht, er habe die Stimme Gottes gehört, die ihm sagte: „Steh auf, nimm deinen Sohn, deinen einzigen geliebten, führe ihn auf den Berg, den ich dir zeigen werde, und bringe ihn mir dort zum Schlachtopfer dar!“

 

Am Morgen stand der Mann auf, schaute seinen Sohn an, seinen einzigen geliebten, schaute seine Frau an, die Mutter des Kindes, schaute seinen Gott an. Er gab zur Antwort, ihm ins Angesicht: „Ich tue das nicht“.

 

Wie schaut der Sohn den Vater an?

Wie der Vater den Sohn?

Wie die Frau den Mann?

Wie der Mann die Frau?

Wie schauen sie Gott an?

Und wie schaut Gott – wenn es ihn gibt – sie an?

 

(Bert Hellinger)

 

 

Die Schuld

 

Jemand steht am Morgen auf, und ihm ist schwer ums Herz, da er doch weiß: Heute kommen seine Gläubiger, und er muss sich ihnen stellen. Er sieht, ihm bleibt noch etwas Zeit, und so geht er zum Regal, holt sich den ersten Ordner und schaut in die Papiere.

 

Dort findet er die Rechnungen, die er noch bezahlen muss. Er betrachtet sie genau und sieht, darunter sind auch solche, deren Forderungen überzogen sind, einige davon für Leistungen, die nur versprochen, aber nie erbracht, und andere für Waren, die bestellt, doch nie geliefert worden sind. Er bedenkt, was hier gemäß und rechtens ist, und beschließt, gegen falsche Forderungen auf der Hut zu sein. Dann schließt er diesen Ordner und holt den zweiten.

 

Dort findet er Verzeichnisse von Leistungen, derentwegen er in besonders schwerer Schuld zu stehen glaubte. Doch am Ende dieser langen Listen stehen Bemerkungen wie „gratis“, „schon bezahlt“ oder „gerne gegeben“. Bilder steigen in ihm auf von Menschen, die ihm lieb und teuer waren, und sein Herz wird weit und warm: Dann schließt er auch den zweiten Ordner und holt den dritten.

 

Hier findet er nur Angebote, die er sich kommen ließ, um was schon lange fällig war endlich zu erwerben. Doch am Schluss der Angebote steht „nur auf Vorkasse“. Er weiß, hier bräuchte er noch Zeit, um nachzuprüfen, wie verlässlich diese Angebote waren. So schließt er auch den dritten Ordner und stellt ihn ins Regal.

 

Dann kommen seine Gläubiger, und als sie Platz genommen haben, erfüllen sie den Raum mit ihrer Gegenwart. Doch keiner spricht ein Wort.

 

Als er sie alle vor sich sieht, wird ihm seltsam leicht, als wenn auf einmal überschaubar war, was so verwirrend schien, und er fühlte die Kraft, dass er sich ihnen stellen kann und will.

 

Wie er so wartet, fügt sich das Bild vor ihm zu einer Ordnung. Er ist sich sicher, welcher Gläubiger als erster an die Reihe kommt und wer als nächster folgt. Er teilt sein Bild den Gläubigern mit, dankt ihnen, dass sie kamen, und sichert ihnen zu, dass er sich zur rechten Zeit auch ihnen stellen werde. Sie stimmen zu und gehen, und nur der eine Gläubiger bleibt zurück, dem er sich jetzt schon stellen will.

 

Die beiden setzen sich einander aus. Sie wissen, es geht nicht mehr ums Feilschen, nur noch um den Vollzug, und da sie beide ernsthaft sind, werden sie sich einig. Doch als sein Gläubiger geht, dreht er sich nochmals um und sagt: „Ein bisschen gebe ich dir noch Aufschub.“

 

 

(Bert Hellinger)

 

 

Die halbe Wahrheit

 

Vom Propheten Mohammed wird folgende Begebenheiten berichtet: Der Prophet kam mit einem seiner Begleiter in eine Stadt, um zu lehren.
Bald gesellte sich ein Anhänger seiner Lehre zu ihm: "Herr! In dieser Stadt geht die Dummheit ein und aus. Die Bewohner sind halsstarrig. Man möchte hier nichts lernen. Du wirst keines dieser steinernen Herzen bekehren."
Der Prophet antwortete gütig: "Du hast recht!"

... Bald darauf kam ein anderes Mitglied der Gemeinde freudestrahlend auf den Propheten zu: "Herr! Du bist in einer glücklichen Stadt. Die Menschen sehnen sich nach der rechten Lehre und öffnen ihre Herzen deinem Wort."
Mohammed lächelte gütig und sagte wieder: "Du hast recht!"

"O Herr" wandte da der Begleiter Mohammeds ein. "Zu dem Ersten sagtest du er habe recht. Zu dem Zweiten, der genau das Gegenteil behauptet, sagtest du auch, er habe recht. Schwarz kann doch nicht weiß sein."

Mohammed erwiderte: "Jeder Menschen sieht die Welt so, wie er sie erwartet. Wozu sollte ich den beiden widersprechen? Der eine sieht das Böse, der andere das Gute. Würdest Du sagen, dass einer von beiden etwas Falsches sieht, sind doch die Menschen hier wie überall böse und gut zugleich. Nichts Falsches sagte man mir, nur Unvollständiges."

(aus: "Der Kaufmann und der Papagei." von Nossrat Peseschkian)

 

 

 

Wie Nasrudin Wahrheit schuf

 

„Gesetze als solche machen die Menschen nicht besser“, sagte Nasrudin zum König. „Sie müssen bestimmte Dinge in die Tat umsetzen, um auf die innere Wahrheit abgestimmt zu werden. Diese Form der Wahrheit ähnelt der äußeren Wahrheit nur von ferne.“

 

Der König aber beschloss, die Menschen dazu zu bringen, die Wahrheit anzunehmen. Er war überzeugt, er könne sie dazu bringen, Wahrhaftigkeit in die Tat umzusetzen.“

 

Man kam in die Stadt über eine Brücke; auf dieser ließ er einen Galgen errichten. Am nächsten Tage, als die Tore im Morgengrauen eröffnet wurden, stand der Wachhauptmann dort mit seiner Truppe bereit, um alle, die in die Stadt wollten, zu überprüfen.

 

Folgendes hatte man bekanntgegeben: „Jedermann wird befragt! Wenn er die Wahrheit spricht, wird ihm erlaubt, in die Stadt zu gehen. Wenn er lügt, wird er gehängt.“

 

Nasrudin kam heran.

„Wohin gehst du?“

„Ich bin unterwegs, um gehängt zu werden“, sagte Nasrudin gemächlich.

„Das glauben wir dir nicht!“

„Gut! Falls ich gelogen habe, hängt mich auf!“

„Aber wenn wir dich aufhängen, weil du gelogen hast, machen wir das, was du gesagt hast, ja zur Wahrheit.“

„Recht so! Jetzt wisst ihr, was Wahrheit ist – eure Wahrheit!“

 

 

Shah (1984)

 

 

Feste Ansichten

 

Wie alt bist du, Mulla?“

„Vierzig.“

Aber dasselbe hast du gesagt, als ich dich vor zwei Jahren gefragt habe.“

„Ja, denn ich stehe stets zu dem, was ich gesagt habe.“

 

Shah (1984)

 

 

Das Wesen der Wahrheit...

 

Ein Mann wurde von schweren Zweifeln über das Wesen der Wahrheit geplagt. Er beschloss deshalb, zu einem Rabbi in einem weit entfernten Dorf zu reisen, der für seine Weisheit im ganzen Land bekannt war. Als er nach einer langen und beschwerlichen Reisen in dem Dorf ankam, erkundigte er sich sogleich, wo er den berühmten Weisen antreffen könne. Doch die Leute im Dorf lachten ihn nur aus: „Der Rebbe hat sich schon vor20 Jahren aus der Welt zurückgezogen, und jetzt meint so ein dahergelaufener Fremder wie du, er könne ihn einfach besuchen!“ Das konnte den Mann jedoch nicht von seiner Suche abbringen. Er wartete einen Moment ab, indem die engsten Schüler des Rabbiners einmal nicht aufpassten, und stahl sich in die Studierstube des alten Mannes. Es verging einige Zeit, bis der Rabbiner endlich von seiner Arbeit aufsah: „ Ich bitte um Verzeihung, ehrwürdiger Rebbe, aber ich bin von weit her gekommen, weil mich seit Langem eine Frage nicht mehr loslässt. Ich hoffe, dass Ihr mir in Eurer großen Weisheit eine Antwort geben könnt.“ – „Nun, wie lautet deine Frage?“, wollte der Rebbe wisse, und sein Tonfall war durchaus freundlich.“ „Was ist das Wesen der Wahrheit?“, erwiderte der Besucher. Der Rabbiner sah ihm tief in die Augen, stand auf – und gab ihm eine Ohrfeige. Der Mann wusste nicht, wie ihm geschah. Vollkommen verwirrt rannte er davon und lief ins nächste Wirtshaus, um dort seine Enttäuschung in Alkohol zu ertränken. Ein junger Bursche aus dem Dorf sah dies und fragte ihn, was denn passiert sei. So bekam er die ganze Geschichte zu hören. Dann sagte er nachdenklich: „Weißt du, wenn der Rebbe so etwas tut, hat er einen Grund. Es muss eine Erklärung geben.“ Jetzt mischt sich auch ein Schüler des Rabbiners ein, der am Nebentisch sah und zugehört hatte. „Der Rebbe hat dir eine Ohrfeige gegeben, damit du lernst, dass man niemals eine gute Frage gegen eine Antwort eintauscht.“

 

(chassidisch, aus: Rabbi Nilton Bonder, „Der Rabbi hat immer Recht – Die Kunst, Probleme zu lösen“)

 

 

Die Bekehrung

(in Anlehnung an „Der verlorenen Sohn“)

 

Vor einiger Zeit tauchte eine Handschrift auf, in der verschiedene Gleichnisse Jesu etwas anders erzählt werden, als wir sie gewohnt sind, und eine genaue Untersuchung hat ergeben, dass vom Inhalt her an ihrer Authentizität nicht gezweifelt werden kann. Eines der Gleichnisse, das dort anders erzählt wird, ist das vom verlorenen Sohn, und in der neuen Fassung lautet es ungefähr so:

 

Ein Mann hatte zwei Söhne. Der jüngere von ihnen sagte zu seinem Vater: „Vater, gib mir meinen Anteil am Vermögen.“ Der Vater wurde traurig, denn er sah, was sein Sohn im Schilde führte. Doch er gab es ihm.

 

Schon wenige Tage später packte der jüngere Sohn alles zusammen, zog in ein fernes Land und verprasste sein Vermögen durch ein ausschweifendes Leben.

 

Als er alles durchgebracht hatte, hungerte ihn, und er verdingte sich bei einem Bürger jenes Landes und hütete für ihn die Schweine. Gerne hätte er von dem gegessen, was die Schweine fraßen, aber niemand gab es ihm.

 

Bei jenem Bürger traf er einen jungen Mann, der hatte es genau wie er gemacht. Auch er hatte seinen Anteil am Vermögen erbeten, war in das gleiche ferne Land gezogen, hatte alles durchgebracht mit einem ausschweifenden Leben und landete wie er bei den Schweinen.

 

Nun gingen beide in sich, und der eine sagte: „Die Knechte meines Vaters haben Brot im Überfluss, und ich, sein Sohn sterbe hier vor Hunger. Ich werde mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und ihm sagen: „Vater ich habe gesündigt vor dem Himmel und vor dir. Ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen. Halte mich wie einen deiner Knechte.“

 

Der andere sagte: „ Ich mache es anders. Ich gehe schon morgen auf den Marktplatz, suche mir eine bessere Arbeit, spare mir ein kleines Vermögen, heirate eine der Töchter dieses Landes und lebe wie die anderen Leute hier auch.“ Da blickte Jesus seine Zuhörer an und fragte: „Wer von den beiden hat wohl eher den Willen meines Vaters erfüllt?“

 

Die genaue Nummer der Handschrift ist mir leider entfallen.

 

(Bert Hellinger)

 

Die Geschichte von einem, der es genau wissen wollte

 

Einem Mann war die Frau gestorben, und er saß mit vielen Kindern da und wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Er hatte keine Arbeit und konnte sie nicht ernähren. Da hat ihm ein Freund erzählt, es gebe einen Einsiedler in den Bergen, der wisse das Geheimnis, wie man aus Steinen Gold macht. Vielleicht könnte der ihm helfen.

Da sagte er: „Ja, zu dem geh’ ich hin.“

Dann ist er hingewandert, hat ihn gefunden, fragte ihn: „Stimmt es, dass du weißt, wie man aus Steinen Gold macht?“ Da sagte der: „Ja, das weiß ich.“

„Und würdest du das verraten?“

„Ja, das tue ich auch. Du brauchst jetzt nur beim nächsten Vollmond ins übernächste Tal zu gehen und eine Stunde vor Mitternacht fünf große Kieselsteine suchen und sie auf Tannenreisig legen. Dann nimmst du diese fünf Kräuter hier – die Namen hab’ ich leider vergessen – streust sie darüber, zündest das Feuer an, und um Mitternacht ist aus den Steinen Gold geworden.“

Da hat er sich gefreut und hat sich auf den Weg gemacht, und als er eine Weile gegangen war, dachte er sich: „Das kann doch nicht alles sein. Er hat mir bestimmt etwas wichtiges verschwiegen.“ Dann ist er wieder zurück und hat gesagt: „Ich habe mir das überlegt. Das kann doch nicht alles sein. Etwas hast du mir sicherlich verschwiegen.“

„Ja“, sagte er, „ du darfst nämlich während dieser Stunde, in der das Feuer brennt, nicht an einen weißen Bären denken.“

 

(Bert Hellinger)

 

 

Das Problem

 

Die Straßen von Amsterdam, zumal im ehemaligen Ghetto, sind zum Teil nur wenige Meter breit. In einer heißen Sommernacht wälzt sich Kohn ruhelos im Bett. Sein Frau fragt: „Was ist denn mit dir los? Ist dir nicht gut? Willst eine Erfrischung?“

„Was kann das nützen?“ stöhnt Kohn. „Ich habe ein Problem?“

„Was hast denn für ein Problem?“

„Ich schulde dem Nathanson von gegenüber dreihundert Gulden“

„Ja und?“

„Ja morgen soll ich zahlen – und ich habe kein Geld.“

„Ist das alles?“ fragt die Frau, steht resolut auf und ruft aus dem Fenster: „Nathanson, Nathanson, komm mal ans Fenster! Hörst du?“

Nach einer Weile geht gegenüber das Licht an und Nathanson zeigt sich. „Was gibt’s?“

Fährt die Frau fort: „Mein Mann, der Kohn, schuldet dir noch dreihundert Gulden:“

„Ja“, ruft Nathanson zurück.

„Die soll er dir morgen zurückzahlen.“

„Ja.“

„Und er hat sie nicht und kann sie dir morgen nicht zurückzahlen.“ schließt die Frau ab, das Fenster zu und wendet sich ihrem Mann, dem Kohn, zu. „Jetzt hat der das Problem“

 

(?)

 

Das Krokodil-Dilemma

 

(Variationen der Geschichte einer Mutter, die ihr Kind zu retten versucht)

 

Ein Krokodil schnappte sich ein kleines Kind, das am Ufer des Nil gespielt hatte. Die Mutter flehte das Krokodil an, ihr das Kind wiederzugeben. „Also gut“, meinte das Krokodil, „wenn du genau vorhersagen kannst, was ich tun werde, werde ich dir das Kind zurückgeben. Wenn du jedoch falsch tippst, werde ich es zum Mittagessen verspeisen.“

Ach, du wirst mein Kind fressen!“ weinte die verzweifelte Mutter.

Jetzt kann ich dir das Kind nicht zurückgeben“, entgegnete das verschlagene Krokodil, denn wenn ich es zurückgebe, dann bedeutet das, dass du das Falsche vorausgesagt hast, und ich habe dir ja gedroht, das Kind zu fressen, wenn deine Voraussage nicht stimmt.“

Genau das Gegenteil trifft zu“, sagte die schlaue Mutter. „Du kannst mein Kind nicht fressen, denn wenn du das tust, dann habe ich die Wahrheit gesagt, und für diesen Fall hast du ja versprochen, mir das Kind zurückzugeben. Und ich weiß, dass du ein ehrenhaftes Krokodil bist und dein Wort halten wirst.“

 

Variation I

Eine Verrücktheit schnappte sich ein kleines Kind, das am Rande der Normalität gespielt hatte. Die Mutter flehte die Verrücktheit an, ihr das Kind wiederzugeben. „Also gut“ meinte die Verrücktheit, „wenn du genau vorhersagen kannst, was ich tun werde, werde ich dir das Kind zurückgeben. Wenn du jedoch falsch tippst, werde ich es behalten.“

Ach, du wirst mein Kind behalten!“ weinet die verzweifelte Mutter.

„Jetzt kann ich die das Kind nicht zurückgeben“, entgegnete die verschlagene Verrücktheit, denn wenn ich es zurückgebe, dann bedeutet das, dass du das Falsche vorausgesagt hast, und ich habe dir ja gedroht, das Kind zu behalten, wenn deine Voraussage nicht stimmt.“

Genau das Gegenteil trifft zu“, sagte die schlaue Mutter. „Du kannst mein Kind nicht behalten, denn wenn du das tust, dann habe ich dir die Wahrheit gesagt, und für diesen Fall hast du ja versprochen, mir das Kind zurückzugeben. Und ich weiß, dass du eine ehrenhafte Krankheit bist und dein Wort halten wirst.

 

Variation II:

Ein ziemlich großes Kind – dem Alter nach war es eigentlich schon ein Erwachsener – schnappte sich eine Verrücktheit, als es am Rande der Normalität spielte. Die Mutter flehte ihr erwachsenes Kind an, die Verrücktheit aufzugeben. „Also gut“, meinte ihr Kind, wenn du eine gute Mutter bist und mich so behandelst, wie ich es brauche, dann werde ich die Verrücktheit aufgeben. Wenn du jedoch keine gute Mutter bist und mich so behandelst, wie ich es nicht brauche, dann werde ich sie behalten.“

Ach, du wirst die Verrücktheit behalten!“ weinte die verzweifelte Mutter und behandelte ihr Kind wie einen unselbstständigen, armen Kranken, der nicht selbst über sein Leben entscheiden kann.

Jetzt kann ich die Verrücktheit nicht aufgeben“, entgegnete das erwachsene Kind, „denn wenn du mich wie einen armen, kranken, unselbstständigen Menschen behandelst, so bist du keine gute Mutter, und ich habe dir ja gedroht, die Verrücktheit zu behalten, wenn du dich falsch verhältst.“

Genau das Gegenteil trifft zu“, sagte die besorgte Mutter. „Du kannst die Verrücktheit nicht behalten, denn wenn du das tust, dann habe ich mich richtig verhalten; eine gute Mutter muss die Verantwortung für ihr armes, krankes Kind übernehmen. Und für diesen Fall hast du ja versprochen, die Verrücktheit aufzugeben. Und ich weiß, dass du ein ehrenhaftes Kind bist und dein Wort halten wirst.

 

Variation III:

Ein schon ziemlich großes Kind – dem Alter nach war es eigentlich schon ein Erwachsener – schnappte sich ein Verrücktheit, als es am Rande der Normalität spielte. Die Mutter flehte ihr erwachsenes Kind an, die Verrücktheit aufzugeben. „Also gut“, meinte ihr Kind, „wenn du eine gute Mutter bist und mich so behandelst, wie ich es brauche, dann werde ich die Verrücktheit aufgeben. Wenn du jedoch keine gute Mutter bist und mich so behandelst, wie ich es nicht brauche, dann werde ich sie behalten.“

Ach, du wirst die Verrücktheit schon aufgeben!“ sagte die zuversichtliche Mutter und behandelte ihr Kind wie einen selbstständigen, gesunden Erwachsenen, der selbst über sein Leben entscheiden kann.

Jetzt kann ich die Verrücktheit nicht aufgeben, entgegnete das erwachsene Kind, denn wenn mich nicht wie einen armen, kranken und hilfsbedürftigen Menschen behandelst, so bist du keine gute Mutter, und ich habe dir ja gedroht, die Verrücktheit zu behalten, wenn du dich falsch verhältst.

Genau das Gegenteil trifft zu“, sagte die Mutter guten Mutes. „Du kannst die Verrücktheit nicht behalten, denn wenn du das tust, dann habe ich mich richtig verhalten; ein gute Mutter muss die Verantwortung für ihr erwachsenes, eigenverantwortliches und selbstständiges Kind abgeben und sogar klaglos hinnehmen, wenn es sich entschließt, sich verrückt zu verhalten. Und für diesen Fall hast du ja versprochen, die Verrücktheit aufzugeben. Und ich weiß dass du ein ehrenhaftes Kind bist und dein Wort halten wirst.“

 

Variation IV (Ausschnitt aus einer Therapiesitzung):

Therapeut (fragt die Tochter): „Was möchten sie denn durch die Gespräche hier erreichen?“

Tochter: „Ich möchte meine Mutter zu einer richtigen Mutter machen.“

Therapeut: „Und woran würden sie merken, dass ihre Mutter eine richtige Mutter ist.“

Tochter: „Eine richtige Mutter lässt sich von ihrer Tochter nicht vorschreiben, wie sie zu sein hat.“

Mutter (mit einem Blick wie in Trance): „Ah...“

 

Variation V (häufig praktiziertes Erziehungsziel von Eltern):

„Wir wollen unser Kind selbstständig machen!“

 

(Aus: Fritz B. Simon, „Meine Psychose, mein Fahrrad und ich“)

 

 

Mullah Nasrudin, sein Sohn und der Esel

 

Mullah Nasrudin war mit seinem Sohn und einem Esel auf dem Weg in ein Dorf. Der Mullah lief hinter dem Esel und sein Sohn saß auf dem Esel. So liefen sie an einigen Bauern vorbei, die auf ihrem Feld arbeiteten. „Schaut euch das nur an. Nennt man das Erziehung?“ sagten sie so laut, dass Vater und Sohn es hören mussten. „Ist das Respekt für deinen Vater?“ fragte ein Bauer den Sohn ganz entrüstet. „Du sitzt seelenruhig auf dem Esel, während dein Vater hinter dem Esel herlaufen muss. Und das in dieser Hitze!“ Der Sohn erschrak durch diese Bemerkung sehr und schämte sich, sprang von dem Esel hinunter und forderte seinen Vater auf, sich auf den Esel zu setzen.

Sie waren noch nicht weit gekommen, da begegnete ihnen eine Gruppe von Männern, die auf dem Weg zum Markt waren. „Was für eine Schande“, rief einer von ihnen. „Was für ein schlechter Vater! Lässt sein Kind hinter sich herlaufen und sitzt selbst königlich auf dem Esel. Bah!“

Mullah Nasrudin fühlte sich nun sehr schlecht. „Komm her, mein Sohn“, sagte er, „und steige vor mir auf den Esel. Es ist Platz genug für uns beide.“

Ein Stück weiter kamen sie an einen Brunnen, aus dem gerade einige Frauen Wasser schöpften. Sie redeten nicht laut, aber der Mullah und sein Sohn konnten sie verstehen: „Tapfere Reiter sind das, die nicht merken, dass das arme Tier durch das Gewicht der beiden beinahe in die Knie sinkt.“

Der Sohn schaute geradeaus und versuchte so zu tun, als ob er es nicht hörte. Als sie schon lange an dem Brunnen vorbei waren, drehte er sich verzweifelt zu seinem Vater um. Dieser nickte nur und beide stiegen sofort von ihrem Esel ab und liefen nun vor ihm her. Der Esel freute sich, winkte mit seinem Schwanz und machte laut „Iaah!“

Kurze Zeit später erreichten sie das Dorf und liefen an einem Cafe vorbei. Dort saßen einige Leute und spielten Karten. Sie schauten auf, begannen lauthals zu lachen und riefen: „Was sind denn das für Dummköpfe? Da haben sie einen starken Esel und anstatt das Tier als Reittier zu nutzen, trotten sie hinterher. Wer ist hier der Chef? Der Esel oder die beiden?“

Der Mullah und sein Sohn reagierten nicht und liefen einfach weiter. Als niemand sie mehr hören konnte, sagte Nasrudin zu seinem Sohn: „Jetzt siehst du, wie die Welt funktioniert, mein Sohn. Was du auch tust, du kannst es nie allen Recht machen. Darum ist es einfach das Beste, wenn du selbst entscheidest, was du tust und was du als richtig empfindest!“

 

(?)

 

Der Gast

 

Irgendwo, weit weg von hier, dort, wo einmal der Wilde Westen war, wandert einer mit dem Rucksack auf dem Rücken durch weites menschenleeres Land. Nach stundenlangem Marsch – die Sonne steht schon hoch und sein Durst wird groß - sieht er am Horizont ein Farmhaus. „Gott sei Dank!“ denkt er, „ endlich wieder mal ein Mensch in dieser Einsamkeit. Bei ihm kehre ich ein, bitte ihn, um etwas zu trinken, und vielleicht setzen wir uns noch auf die Veranda und unterhalten uns, bevor ich weiterziehe.“ Und er malt sich aus, wie schön es sein wird.

 

Als er aber näher kommt, sieht er, wie der Farmer sich im Garten vor dem Haus zu schaffen macht, und ihn befallen erste Zweifel. „Wahrscheinlich hat er viel zu tun, und wenn ich sage, was ich möchte, falle ich ihm lästig; und er könnte meinen, ich sei unverschämt.“ Als er dann an die Gartentüre kommt, winkt er dem Farmer nur und geht vorbei.

 

Der Farmer seinerseits sah ihn von Ferne, und er freute sich. „Gott sei Dank! Endlich wieder einmal ein Mensch in dieser Einsamkeit. Hoffentlich kommt der zu mir. Dann werden wir zusammen etwas trinken, und vielleicht setzen wir uns noch auf die Veranda und unterhalten uns, bevor er wieder weiterzieht.“ Und er ging ins Haus, um schon Getränke kalt zu stellen.

 

Als er den Fremden aber näher kommen sah, begann auch er zu zweifeln. „Er hat es sicher eilig, und wenn ich sage, was ich möchte, falle ich ihm lästig; und er könnte meinen, ich dränge mich ihm auf. Doch vielleicht ist er durstig und will von sich aus zu mir kommen. Am besten ist, ich gehe in den Garten vor dem Haus und tue so, als ob ich mir zu schaffen mache. Dort muss er mich ja sehen, und wenn er wirklich zu mir will, wird er es schon sagen.“ Als dann der andere nur herüberwinkte und seines Weges weiterzog, sagte er: „Wie schade!“

 

Der Fremde aber wandert weiter. Die Sonne steigt noch höher, und sein Durst wird größer, und es dauert Stunden, bis er am Horizont ein anderes Farmhaus sieht. Er sagt sich: „Diesmal kehre ich bei dem Farmer ein, ob ich ihm lästig falle oder nicht. Ich habe solchen Durst, ich brauche etwas zu trinken.“

 

Doch auch der Farmer sah ihn schon von Ferne und dachte: „Der kommt doch hoffentlich nicht zu mir. Das fehlte mir gerade noch. Ich habe viel zu tun und kann mich nicht auch noch um andere Leute kümmern.“ Und er machte mit der Arbeit weiter, ohne aufzublicken,

 

Der Fremde aber sah ihn auf dem Feld, ging auf ihn zu und sagte: „Ich habe großen Durst. Bitte gib mir zu trinken.“ Der Farmer dachte: „Abweisen darf ich ihn jetzt nicht, schließlich bin auch ich ein Mensch.“ Er führte ihn zu seinem Haus und brachte ihm zu trinken.

 

Der Fremde sagte: „Ich habe deinen Garten angeschaut. Man sieht, hier war ein Wissender am Werk, der Pflanzen liebt und weiß, was sie brauchen.“ Der Farmer freute sich und sagte: „Ich sehe, auch du verstehst etwas davon.“ Er setzte sich und sie unterhielten sich lange.

 

Dann stand der Fremde auf und sagte: „Jetzt ist es Zeit für mich zu gehen.“ Der Farmer aber wehrte ab. „Schau“, sagte er, „ die Sonne steht schon tief. Bleib diese Nacht bei mir. Dann setzen wir uns noch auf die Veranda und unterhalten uns, bevor du morgen weiterziehst.“ Und der Fremde stimmte zu.

 

Am Abend saßen sie auf der Veranda, und das weite Land lag wie verklärt im späten Licht. Als es dann dunkel war, begann der Fremde zu erzählen, wie sich für ihn die Welt verändert habe, seitdem er inne wurde, dass ihn auf Schritt und Tritt ein anderer begleite. Erst habe er es nicht geglaubt, dass einer dauernd mit ihm ging. Dass, wenn er stehen blieb, der andere stand, und wenn er aufbrach, der andere sich mit ihm erhob. Und er brauchte Zeit, bis er begriff, wer dieser sein Begleiter sei.

 

„Mein ständiger Begleiter“, sagte er das ist mein Tod. Ich habe mich so sehr an ihn gewöhnt, dass ich ihn nicht mehr missen will. Er ist mein treuester, mein bester Freund. Wenn ich nicht weiß, was richtig ist und wie es weitergehen soll, dann halte ich ein Weilchen still und bitte ihn um eine Antwort. Ich setze mich ihm aus als Ganzes, gleichsam mit meiner größten Fläche; weiß, er ist dort, und ich bin hier. Und ohne dass ich mich an Wünsche hänge, warte ich, bis mir von ihm zu mir ein Hinweis kommt. Wenn ich gesammelt bin und mich ihm mutig stelle, kommt mir nach einer Zeit von ihm zu mir ein Wort, wie wenn ein Blitz was dunkel war erhellt – und ich bin klar.“

 

Dem Farmer war die Rede fremd, und er blickte lange schweigend in die Nacht. Dann sah auch er, wer ihn begleitet, seinen Tod, - und er verbeugte sich vor ihm.

 

Ihm war, als sei was ihm von seinem Leben blieb verwandelt. Kostbar wie Liebe, die um Abschied weiß, und wie die Liebe bis zum Rande voll.

 

Am nächsten Morgen aßen sie zusammen, und der Farmer sagte: „Auch wenn du gehst, bleib mir ein Freund.“ Dann traten sie ins Freie und reichten sich die Hand. Der Fremde ging seines Weges und der Farmer auf sein Feld.

 

(Bert Hellinger)

 

 

Die Heilung

(Der Anspruch)

 

Im Lande Aram – das ist dort, wo heute Syrien liegt – lebte in alter Zeit ein Feldherr, der seinem König lieb und teuer war und erst durch seine Kraft und Tapferkeit berühmt, doch dann, von schwerer Krankheit heimgesucht, mit niemand mehr Kontakt aufnehmen durfte – nicht einmal mit seiner Frau: Denn er hatte Aussatz.

Da hörte er von einer Sklavin, in ihrer Heimat gäbe es einen Mann, der wisse, wie man seine Krankheit heile. Und so zog er ein großes Gefolge zusammen, nahm zehn Talente Silber, sechstausend Goldstücke, zehn Festgewänder, dazu noch ein Empfehlungsschreiben seines Königs und machte sich auf diesen Weg.

Nach langem Marsch und manchem Umweg erreichte er das Haus, in dem der Heiler wohnte, und er rief laut um Einlass.

Da stand er nun mit seinem ganzen Gefolge und mit all seinen Schätzen, hielt das Empfehlungsschreiben seines Königs in der Hand und wartete. Doch niemand nahm Notiz von ihm. Er wurde schon ein bisschen ungeduldig und nervös, da öffnete sich eine Tür, ein Diener kam heraus, ging auf ihn zu und sagte: „ Mein Herr lässt melden: ´Wasche dich im Jordan, dann wirst du wieder heil!´ “

Da glaubte sich der Feldherr lächerlich gemacht und auf den Arm genommen. „Was?“ sagte er, „das hier soll ein Heiler sein? Der hätte doch zumindest selber zu mir kommen, seinen Gott anrufen, ein langes Ritual eröffnen und jede wunde Stelle meiner Haut berühren müssen! Das hätte mir vielleicht geholfen. Und nun soll ich nur in diesem Jordan baden?“ Und wutentbrannt drehte er sich um und machte sich auf den Weg zurück.

Das ist das eigentliche Ende der Geschichte. Weil sie aber nur ein Märchen ist, geht sie doch noch gut aus.

 

Als der Feldherr schon einen Tag lang auf dem Heimweg war, kamen abends seine Diener und redeten ihm gütlich zu. „Lieber Vater“, sagten sie, „hätte dieser Heiler etwas Ungewöhnliches von dir verlangt, zum Beispiel, dass du ein Schiff besteigst, in ferne Länder fährst, dich fremden Göttern unterwirfst, jahrelang nur noch die eigenen Gedanken liest, und dein Vermögen wäre dabei draufgegangen, du hättest es bestimmt gemacht. Doch nun hat er von dir nur etwas ganz Gewöhnliches verlangt.“ Und er ließ sich überreden.

Missmutig und übelgelaunt ging er zum Jordan, wusch sich widerwillig in dem Wasser, und es geschah ein Wunder.

Als er zurück nach Hause kam, hätte seine Frau sehr gern erfahren, wie es ihm ergangen war. „Ach!“ sagte er, „es geht mir wieder gut. Aber sonst war überhaupt nichts los.“

 

(Bert Hellinger)

 

 

 

 

 

 

 

Der kleine John

 

„In einer einsamen bewaldeten Gegend setzte eines Abends ein fürchterliches Gewitter mit grellen Blitzen und ohrenbetäubenden Donnerschlägen ein. Das ganze Haus schien durch die entfesselten Naturgewalten in seinen Grundfesten zu erbeben. Die Familie war bereits zu Bett gegangen. Der kleine, zarte Sohn John, gerade acht Jahre alt, schreckte jäh aus dem Schlaf, sprang von seinem Lager in den immer wieder von Blitzen hell erleuchteten Zimmer hoch und entfloh den drohenden, gespensterhaften Schatten, die über die Zimmerdecke huschten. Er rannte voller Panik zum Schlafzimmer der Eltern und kroch dort zitternd unter die große Bettdecke. Er schmiegte sich hilfesuchend an den Vater, klammerte sich an ihn wie ein Ertrinkender und brachte nur einen, in der kleinen Kehle immer wieder erstickenden, Schrei hervor. Die Eltern streichelten liebevoll ihren zitternden Jungen und drückten ihn fest an sich. Sie sagten ihm, dass er keine Angst haben müsse, denn Gott unser himmlischer Vater, der ihn und sie alle liebe, werde nicht zulassen, dass ihm und ihnen allen ein Leid geschehe. Jeder Mensch habe einen Schutzengel, so auch er, der ihn überall hin begleite und beschütze. Inzwischen hatte die Wucht des Gewitters nachgelassen, und es schien, dass die Blitze schwächer wurden, und das Grollen des Donners war nur noch wie von ferne zu hören. „Nun, lieber John“, sagte der Vater, „ jetzt kannst du ruhig wieder in dein Zimmer zurückkehren.“ „Kaum aber war John dort angelangt und hatte sich getröstet wieder in seine Decken eingehüllt, setzte erneut der Sturm ein und, wie es schien, mit verstärkter Macht. John versuchte erst, tapfer zu sein und im Vertrauen auf die elterliche Botschaft von Gott, dem liebenden Vater, und den Engeln, die ihn begleiteten, seine Ängste durchzustehen. Als aber die Naturgewalten noch vehementer hereinbrachen, sprang er wie ein gehetztes Tier schweißüberströmt aus seinem Zimmer, riss mit Getöse die Tür bei seinen Eltern auf und kroch mit einem Sprung unter die schützende Decke, kuschelte sich in der Wärme an seinen Vater heran und stieß keuchend hervor: „Gott und die Engel mag es geben, die helfen mir aber jetzt nicht, ich brauche jetzt jemanden mit Haut!“

 

Lechler, Walther H. (1994)

Die Rose

 

Rainer Maria Rilke ging in der Zeit seines Pariser Aufenthaltes regelmäßig über einen Platz, an dem eine Bettlerin saß, die um Geld anhielt.

Ohne je aufzublicken, ohne ein Zeichen des Bittens oder Dankens zu äußern, saß die Frau immer am gleichen Ort.

Rilke gab nie etwas, seine französische Begleiterin warf ihr häufig ein Geldstück hin.

Eines Tages fragte die Französin verwundert, warum er ihr nichts gebe.
Rilke antwortete: "Wir müssen ihrem Herzen schenken, nicht ihrer Hand."

Wenige Tage später brachte Rilke eine eben aufgeblühte weiße Rose mit, legte sie in die offene, abgezehrte Hand der Bettlerin und wollte weitergehen.

Da geschah das Unerwartete: Die Bettlerin blickte auf, sah den Geber, erhob sich mühsam von der Erde, tastete nach der Hand des fremden Mannes, küsste sie und ging mit der Rose davon.

Eine Woche lang war die Alte verschwunden, der Platz, an dem sie vorher gebettelt hatte, blieb leer.

Nach acht Tagen saß sie plötzlich wieder an der gewohnten Stelle. Sie war stumm wie damals, wiederum nur wieder ihre Bedürftigkeit zeigend durch die ausgestreckte Hand.

"Aber wovon hat sie denn in all den Tagen gelebt?" fragte die Französin.
Rilke antwortete: "Von der Rose..."

 

Verfasser unbekannt (aus einem Predigttext)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Großvater und sein Enkel - eine kluge Geschichte

Es war einmal ein Großvater, der schon sehr, sehr alt war. Seine Beine gehorchten ihm nicht mehr, die Augen sahen schlecht, die Ohren hörten nicht mehr viel und Zähne hatte er auch keine mehr.

Wenn er aß, floss dem alten Mann die Suppe aus dem Mund. Der Sohn und die Schwiegertochter ließen ihn deshalb nicht mehr am Tisch mitessen, sondern brachten ihm sein Essen hinter den Ofen, wo er in seiner Ecke saß.

Eines Tages, als man ihm die Suppe in einer Schale hingetragen hatte, ließ er die Schale fallen und sie zerbrach. Die Schwiegertochter machte dem Greis Vorwürfe, dass er ihnen im Haus alles beschädige und das Geschirr zerschlage, und sagte, dass sie ihm von jetzt an das Essen in einem Holzschüsselchen geben werde. Der Greis seufzte nur und sagte nichts.

Als der Mann und die Frau einige Tage später zu Hause beisammen saßen, sahen sie, dass ihr Söhnchen auf dem Fußboden mit kleinen Brettern spielte und etwas zimmerte.

Der Vater fragte ihn: "Was soll das denn werden, Mischa?"

Und Mischa antwortete: "Das soll ein Holzschüsselchen werden, Väterchen. Daraus werde ich dir und der Mutter zu essen geben, wenn Ihr alt geworden seid."

Der Mann und die Frau sahen sich an und weinten. Ihnen wurde plötzlich bewusst, wie sehr sie den Greis gekränkt hatten und sie schämten sich. Fortan ließen sie ihn wieder am Tisch sitzen und waren freundlich zu ihm.

 

Nach Lew Tolstoi

(www.lichtkreis.at)

 

Zweierlei Glück

 

In alter Zeit, als die Götter den Menschen noch sehr nahe schienen, lebten in einer kleinen Stadt zwei Sänger namens Orpheus.

 

Der eine von beiden war der Große. Er hatte die Kithara erfunden, eine Vorform der Gitarre, und wenn er in die Saiten griff und sang, war die Natur um ihn verzaubert. Wilde Tiere lagen zahm zu seinen Füßen, hohe Bäume bogen sich ihm zu: Nichts konnte seinen Liedern widerstehen. Weil er so groß war, warb er um die schönste Frau. Danach begann der Abstieg.

 

Während er noch Hochzeit hielt, starb die schöne Eurydike, und der volle Becher, noch während er ihn hob, zerbrach. Doch für den großen Orpheus war der Tod noch nicht das Ende. Mit Hilfe seiner hohen Kunst fand er den Eingang in die Unterwelt, stieg hinab ins Reich der Schatten, setzte über den Strom des Vergessens, kam vorbei am Höllenhund, trat lebend vor den Thron des Totengottes und rührte ihn mit seinem Lied.

 

Der Tod gab Eurydike frei – doch unter einer Bedingung, und Orpheus war so glücklich, dass ihm die Häme hinter dieser Gunst entging.

 

Er machte sich auf den Weg zurück und hörte hinter sich die Schritte der geliebten Frau. Sie kamen heil am Höllenhund vorbei, setzten über den Strom des Vergessens, begannen den Aufstieg zum Licht, sahen es von ferne. Da hörte Orpheus einen Schrei – Eurydike war gestolpert -, erschrocken drehte er sich um, sah noch die Schatten fallen in die Nacht und war allein. Und fassungslos vor Schmerz sang er das Abschiedslied: „ Ach ich habe sie verloren, all mein Glück ist nun dahin!“

 

Er selber fand ans Licht zurück, doch das Leben war ihm fremd geworden. Als betrunkene Frauen ihn zum Fest des neuen Weines führen wollten, weigerte er sich, und sie zerrissen ihn bei lebendigem Leibe.

 

So groß war sein Unglück, so vergeblich seine Kunst. Aber: Alle Welt kennt ihn!

 

Der andere Orpheus war der Kleine. Er war nur ein Bänkelsänger, trat bei kleinen Festen auf, spielte für die kleinen Leute, machte eine kleine Freude und hatte selber Spaß dabei. Da er von seiner Kunst nicht leben konnte, lernte er noch einen anderen, gewöhnlichen Beruf, heiratete eine gewöhnliche Frau, hatte gewöhnliche Kinder, sündigte gelegentlich, war ganz gewöhnlich glücklich und starb alt und lebenssatt.

 

Aber: niemand kennt ihn – außer mir!

 

(Bert Hellinger)

 

 

 

 

 

... Wie schön es ist da unten!“

 

Der westlich gebildete Sohn schwärmt für die Natur. Mit schwerer Mühe ist es ihm geglückt, den Papa zu einem Spaziergang auf den Stadthügel zu bewegen. Der Sohn, innig bewegt: „Sieh nur, Papa, wie schön es ist da unten!“

Papa: „Der Schlag soll dich treffen! Dazu schleppst du mich so hoch hinauf, damit ich sehen soll, wie schön es ist da unten!?“

 

Esoterisch

 

Ein Scharlatan mit Namen Khamsa ging eines Tages zu Nasrudin und sagte:

„Ist es wahr, dass du geheimes Wissen hast?“

„Er zähle mir etwas von deinen eigenen hohen Erfahrungen“, war alles, was Nasrudin erwiderte.

„Gerne. Nachts verlasse ich diese materielle Welt und erhebe mich zu den höchsten Himmeln.“

Fühlst du dann, o Meister“, fragte Nasrudin, „wie dein Antlitz von einem fächerartigen Gegenstand gekühlt wird?“

„Ja, ja“ sagte Khamsa, weil er dachte, das müsse eines der Merkmale höherer Erfahrung sein.

„Wenn dem so ist“, sagte Nasrudin, „ solltest du lieber wissen, dass jener fächerartige Gegenstand der Schwanz meines langohrigen Esels ist.“

 

Universi-tot

 

Nasrudin ruderte einen berühmten Universitätsprofessor über ein stürmisches Waser. Als er etwas sagte, das grammatikalisch nicht ganz richtig war, fragte ihn der Gelehrte:

„Haben Sie denn nie Grammatik studiert?“

„Nein“

„Dann war ja die Hälfte ihres Lebens verschwendet!“

Wenige Minuten später drehte sich Nasrudin zu seinem Passagier um: „Haben Sie jemals schwimmen gelernt?“

„Nein, warum?“

„Dann war Ihr ganzes Leben verschwendet – wir sinken nämlich!“

 

 

Der Fromme

Es war einmal ein frommer Mann. Jeden Morgen trat er zu einer bestimmten Zeit hinaus ins Freie. Ging hinaus in seinen Garten auf den Rasen, warf sich dort auf die Knie und rief betend laut gen Himmel, so dass es alle Nachbarn hören konnten: „Halleluja, Herr, ich preise Deinen Namen. Ich danke Dir für diesen Tag!“

Die Nachbarn verfolgten dieses Treiben mit Verwunderung und dachten: „Meschugge. Der hat sie nicht alle.“

Eines Tages war es bitterkalt, ein ungemütlicher Wind fegte durch die Siedlung und es hagelte in Körnern fingerdick.

Der eine Nachbarstand an seinem Fenster und blickte nun gespannt, was wohl geschehen würde. Bei solch einem Wetter, würde man keinen Hund hinausjagen, sagte er zu seiner Frau. Ich bin gespannt, ob der Verrückte von nebenan wieder hinaus geht zum Beten.

Doch der Fromme kam aus seinem Haus, er kniete sich auf den Rasen und rief laut gen Himmel gegen alles Wetterlärmen an: „Hallelujah! Oh Herr, ich preise Deinen Namen. Und ich danke Dir, dass nicht jeden Tag so ein Scheißwetter ist wie heute!“

 

 

Das Gottvertrauen

 

Während einer großen Überschwemmung betete ein Rabbi, dass Gott ihm helfen möge. Das Wasser stieg jedoch immer höher, und er kletterte schließlich auf das Dach seines Hauses.

Als ein Boot vorbeikam und ihn auflesen wollte, lehnte er ab:

„Ich warte, dass Gott mir hilft“, und er betete weiter.

Dann überflog ihn ein Hubschrauber und wollte ihn holen, er aber antwortete: „Nein, nein, ich warte, bis Gott mir hilft.“ Schließlich ist er ertrunken, und als er vor Gott kam, beschwerte er sich: „Jetzt habe ich so gebetet, und du hast mir nicht geholfen.“ – „Doch“, sagte Gott, „ich habe dir ein Boot und einen Hubschrauber geschickt.“

(Bert Hellinger)

 

 

Das Urteil

 

Ein Reicher starb, und als er vor die Himmelspforte kam, klopfte er und bat um Einlass. Petrus schloss ihm auf und fragte, was er wolle.

 

Der Reiche sagte: „Ich hätte gern ein Zimmer erster Klasse, mit schöner Aussicht auf die Erde, und dazu täglich meine Lieblingsspeise und die neueste Zeitung.“

 

Petrus sträubte sich zuerst, doch als der Reiche ungeduldig wurde, führte er ihn in ein Zimmer erster Klasse. Brachte ihm die Lieblingsspeise und die neueste Zeitung, drehte sich noch einmal um und sagte: „In tausend Jahren komme ich wieder!“ und schloss hinter sich die Tür.

 

Nach tausend Jahren kam er wieder und schaute durch die Luke in der Tür. „Da bist du endlich!“ rief der Reiche. „Dieser Himmel ist entsetzlich!“

 

Petrus schüttelte den Kopf. „Du irrst dich“, sagte er. „Hier ist die Hölle.“

Die Fabeln von den Fröschen

 

Eines Tages entschieden die Frösche, einen Wettlauf zu veranstalten. Um es besonders schwierig zu machen, legten sie als Ziel fest, auf den höchsten Punkt eines großen Turms zu gelangen.

Am Tag des Wettlaufs versammelten sich viele andere Frösche, um zuzusehen. Dann endlich – der Wettlauf begann.

Nun war es so, dass keiner der zuschauenden Frösche wirklich glaubte, dass auch nur ein einziger der teilnehmenden Frösche tatsächlich das Ziel erreichen könne. Anstatt die Läufer anzufeuern, riefen sie also "Oje, die Armen! Sie werden es nie schaffen!" oder "Das ist einfach unmöglich!" oder "Das schafft Ihr nie!"

Und wirklich schien es, als sollte das Publikum Recht behalten, denn nach und nach gaben immer mehr Frösche auf.

Das Publikum schrie weiter: "Oje, die Armen! Sie werden es nie schaffen!"

Und wirklich gaben bald alle Frösche auf – alle, bis auf einen einzigen, der unverdrossen an dem steilen Turm hinaufkletterte – und als einziger das Ziel erreichte.

Die Zuschauerfrösche waren vollkommen verdattert und alle wollten von ihm wissen, wie das möglich war.

Einer der anderen Teilnehmerfrösche näherte sich ihm, um zu fragen, wie er es geschafft hatte, den Wettlauf zu gewinnen.

Und da merkten sie erst, dass dieser Frosch taub war!

 

 

 

Die Rückkehr

 

Ich lade euch jetzt ein zu einer Reise zurück in die Vergangenheit, wie wenn Leute, nach Jahren, sich noch einmal aufmachen, um dorthin zurückzukehren, wo damals Entscheidendes geschah. Doch diesmal lauert keine Gefahr, alles ist schon überstanden. Eher ist es, wie wenn alte Kämpfer, nachdem schon lange Frieden ist, noch einmal über jenes Schlachtfeld schreiten, auf dem sie sich bewähren mussten. Lange wächst schon wieder Gras darüber, und Bäume blühen und tragen Frucht. Vielleicht erkennen sie sogar den Ort nicht wieder, weil er nicht so erscheint, wie sie ihn im Gedächtnis hatten, und sie brauchen Hilfe, um sich zurechtzufinden.

 

Denn merkwürdig ist, wie unterschiedlich wir Gefahr begegnen. Ein Kind zum Beispiel steht starr vor Schreck vor einem großen Hund. Dann kommt die Mutter, nimmt es auf den Arm, die Spannung löst sich, es beginnt zu schluchzen. Doch bald schon dreht es seinen Kopf und schaut, nun aus der sicheren Höhe, unbefangen auf das fürchterliche Tier.

 

Ein anderer, wenn er sich geschnitten hat, kann nicht mit ansehen, wie sein Blut fließt. Sobald er aber wegschaut, fühlt er nur wenig Schmerz.

 

Schlimm ist es also, wenn alle Sinne zusammen im Geschehen gefangen sind, sie nicht mehr einzeln und getrennt zum Zuge kommen können, und dann der einzelne von ihnen überwältigt wird, so dass er nicht mehr sieht und hört und fühlt und weiß, was wirklich ist.

 

Wir gehen jetzt auf eine Reise, bei der ein jeder wie er will, das Ganze zu Gesicht bekommt, doch nicht auf einmal, und auch das Ganze miterlebt, doch mit dem Schutz, den er sich wünscht; bei der er auch verstehen mag, was zählt, eins nach dem anderen. Wer will, der mag sich auch vertreten lassen, wie einer, der es sich daheim gemütlich macht in seinem Sessel und dann die Augen schließt und träumt, er sehe sich die Reise machen, und der, obwohl er doch zuhause bleibt und schläft, es alles miterlebt, als wäre er dabei.

 

Die Reise geht in eine Stadt, die einmal reich und berühmt, doch jetzt schon lange einsam i9st und leer, wie eine Geisterstadt im Wilden Westen. Man sieht die Stollen noch, in denen Gold gegraben wurde, die Häuser sind fast noch intakt, sogar das Opernhaus ist noch zu sehen. Doch alles ist verlassen. Schon lange gibt es hier nichts mehr als nur Erinnerung.

 

Wer auf diese Reise geht, der sucht sich einen Kundigen, dass er ihn führe. So kommt er zu dem Ort, und die Erinnerung wird wach. Hier also war es gewesen, was ihn so sehr erschüttert hatte, was er auch heute nur noch schwer erinnern will, weil es so schmerzlich war. Doch jetzt scheint Sonne über der verlassenen Stadt. Wo einmal Leben war, Gedränge und Gewalt, ist Ruhe eingekehrt, fast Frieden.

 

Sie wandern durch die Straßen, und dann finden sie das Haus. Er zögert noch, ob er es wagen will, hineinzugehen, doch sein Begleiter will zuerst allein voraus, um es schon vorher anzusehen und um zu wissen, ob der Ort nun sicher sei, und ob noch etwas übrig blieb von damals.

 

Inzwischen schaut der andere draußen durch die leeren Straßen, und Erinnerungen kommen hoch an Nachbarn oder Freunde, die es dort gegeben hatte. Erinnerungen an Szenen, in denen er glücklich war und heiter, voll Lebenslust und Tatendrang, wie Kinder, die durch nichts zu bremsen sind, weil sie nach vorne drängen, zum Neuen hin, zum Unbekannten, Großen, Weiten, zu Abenteuer und zu bestandener Gefahr. So vergeht die Zeit.

 

Dann winkt ihm sein Begleiter, nachzukommen. Er tritt nun selber in das Haus, kommt in den Vorraum, schaut sich um und wartet. Er weiß es, welche Menschen ihm hätten helfen können, damit er es ertragen hätte, Menschen, die ihn liebten und die auch stark und mutig waren und wissend. Ihm ist, als wären sie jetzt hier, als höre er ihre Stimmen und spüre ihre Kraft. Dann nimmt ihn sein Begleiter bei der Hand, und beide öffnen sie die eigentliche Tür.

 

Da steht er nun und ist zurückgekehrt. Er fasst die Hand, die ihn hierher führt, und schaut sich ruhig um, damit er sehe, wie es wirklich war, das eine und das andere, das Ganze. Seltsam, wie anders er es wahrnimmt, wenn er gesammelt bleibt und an der Hand des Helfers. Wenn er auch das erinnert, was lange ausgeklammert war, wie wenn sich endlich fügt, was auch dazugehört. So wartet er und schaut, bis er es alles weiß.

 

Dann aber überkommt ihn das Gefühl, und hinter dem, was vordergründig war, spürt er die Liebe und den Schmerz. Ihm ist, als sei er heimgekommen, und schaue auf den Grund, wo es kein Recht mehr gibt und keine Rache, wo Schicksal wirkt und Demut heilt und Ohnmacht Frieden stiftet. Sein Helfer hält ihn bei der Hand, dass er sich sicher fühle. Er atmet tief und lässt dann los. So fließt es ab, was sich so lange angestaut, und ihm wird leicht und warm.

 

Als es vorbei ist, schaut der andere ihn an und sagt: „Vielleicht hast du dir etwas aufgebürdet, was du hier liegen lassen musst, weil es dir nicht gehört noch zugemutet werden darf. Zum Beispiel angemaßte Schuld, als müsstest du bezahlen, was andere genommen haben. Leg es hier ab, auch das, was sonst dir fremd sein muss: der anderen Krankheit, oder Schicksal, oder Glauben und Gefühl. Auch die Entscheidung, die zu deinem Schaden war, lass sie jetzt hier zurück.“

 

Die Worte tun ihm gut. Er kommt sich vor, wie jemand, der schwere Last getragen hat und sie nun niederlegt. Er atmet auf und schüttelt sich. Ihm ist zuerst, als sei er federleicht.

 

Der Freund beginnt noch mal zu reden: „Vielleicht hast du auch damals etwas abgelegt und aufgegeben, das du behalten musst, weil es zu dir gehört. Zum Beispiel eine Fähigkeit, ein inniges Bedürfnis, vielleicht auch Unschuld oder Schuld, Erinnerung und Zuversicht, den Mut zum vollen Dasein, zur dir gemäßen Tat. Nun sammle es wieder ein, und nimm es mit in deine Zukunft.“

 

Auch diesen Worten stimmt er zu. Dann prüft er, was er weggegeben und jetzt sich wieder nehmen muss. Als er es nimmt, spürt er den Boden unter seinen Füßen und fühlt sein eigenes Gewicht.

 

Dann führt der Freund ihn ein paar Schritte weiter und kommt mit ihm zur Tür im Hintergrund. Sie öffnen sie und finden... das Wissen, das versöhnt.

 

Nun hält es ihn nicht länger an dem alten Ort. Er drängt zum Aufbruch, dankt dem freundlichen Begleiter und macht sich auf den Weg zurück. Zuhause angekommen, braucht er noch Zeit, um sich zurechtzufinden mit der neuen Freiheit und der alten Kraft. Doch heimlich plant er bereits die nächste Reise, diesmal in neues unbekanntes Land.

 

(Bert Hellinger)

 

 

Die Geschichte mit dem Hammer

 

Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was wenn der Nachbar mir dem Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat was gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gebe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das ganze Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht’s mir wirklich. – Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch bevor der „Guten Tag“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten Sie ihren Hammer, Sie Rüpel!“

 

(aus: Paul Watzlawick, „Anleitung zum Unglücklichsein“)

 

 

Ein Mensch, durch den die Sonne scheint


Ein kleiner Junge kam mit seiner Mutter an einer großen Kirche vorbei. Er schaute an der Kirche hoch und sagte: „Mutti, schau mal, die großen Fenster sind ja ganz schön schmutzig, die sehen ab er gar nicht schön aus.“
Daraufhin ging die Mutter mit ihm in die Kirche. Hier waren die Fenster, die von außen ganz grau und schmutzig aussahen, plötzlich strahlend bunt und leuchteten in den hellsten Farben. Da staunte der Junge, und er schaute sich die Fenster genau an. Über dem Altar war ein auffallend schönes Fenster zu sehen - mit vielen Heiligenfiguren. Und durch eine Figur strahlte gerade die Sonne hindurch, sodass sie besonders hell war.
„Mama, wer ist das?“, wollte der kleine Junge wissen.
Die Mutter antwortete: „Das ist ein Heiliger, der Heilige Franziskus.“
Der Junge merkte sich das gut.
Ein paar Tage später fragte der Lehrer in der Schule seine Schüler: „Wer von euch kann mir sagen, was ein Heiliger ist?“
Da war großes Schweigen in der Klasse. Nur der kleine Junge meldete sich und sagte: „Ich weiß es. Ein Heiliger ist ein Mensch, durch den die Sonne scheint!“

 

 

 

 

 

Im alten Athen

 

Im alten Athen war einmal ein junger Student. Es ging nun zum Ende des Studiums und alles lief prächtig. Sogar ein zauberhafte junge Frau hatte ihm ihr Herz geschenkt. Und nicht nur dies, sie wollte ihn sogar heiraten. Da wurde der junge Mann doch etwas nervös. Eine ernste Entscheidung stand an. Was würde dann aus seiner Karriere. Sich den Kopf zerbrechend durchquerte er die Straßen der alten Stadt. Da traf er einen Freund.

 

Ihn fragte er, was er nur tun solle. „Du ich weiß dir auch keinen Rat. Aber auf dem Marktplatz, da spricht am Wochenende immer ein alter, weiser Mann, ein Philosoph namens Sokrates. Der weiß sicher eine Antwort.“ „Sokrates“, erwiderte unser Student, „ist das nicht der mit der Xanthippe?“ Über Xanthippe war so manches Gerücht in der Stadt unterwegs, dass sie ihrem Mann nicht gerade einfach mache. „Genau der, wenn einer Rat geben kann, dann Sokrates.“

 

Der junge Student machte sich also am folgenden Tag, dem Sonnabend auf dem Weg zum Marktplatz. Er sprach Sokrates an. „Du, ich möchte dich um einen Rat bitten.“ „Nur zu, junger Mann!“ entgegnete der Philosoph. „Ich bin Student und fast fertig mit meinem Studium. Ich habe eine Freundin, die mich sehr liebt. Nun, sie will mich heiraten. Was soll ich nur tun?“ „Sofort heiraten“, war die spontane, entschiedene Antwort. „Sofort? Einfach so? Wie kannst du das so schnell und einfach sagen? Du bist doch der mit der Xanthippe – und da hat man doch so einiges gehört.“ „Ganz einfach“, entgegnete Sokrates, „ entweder du kriegst eine liebe Frau, mit der du dich prächtig verstehst, und alles wird gut, dann führst du ein glückliches Leben mit ihr. Oder du kriegst eine wie meine Xanthippe, dann wirst du Philosoph.“

 

 

 

 

 

 

Heiraten (Nassruddin)

 

Mull Nasrudin saß in einem Teehaus, als ein guter Freund aufgeregt auf ihn zukam. „Ich werde heiraten Mulla“, verkündete sein Freund, und ich bin so aufgeregt. Mulla hast du selber jemals ans Heiraten gedacht?“

 

Nasrudin antwortete: „Ich dachte in der Tat daran zu heiraten. In meiner Jugend wünschte ich es mir sogar sehr stark. Ich wartete darauf, dass ich die perfekte Frau für mich finden würde. Ich reiste umher auf der Suche nach ihr, zuerst nach Damaskus.

 

Dort traf ich eine schöne Frau, sie war anmutig, gütig und zutiefst spirituell, aber sie besaß kein weltliches Wissen. Ich reiste weiter und ging nach nach Isfahan.

 

Dort traf ich eine Frau, die sowohl spirituell als auch weltlich und in vieler Hinsicht schön war, aber wir konnten uns nicht so gut verständigen. Schließlich ging ich nach Kairo, wo ich sie nach langem Suchen fand.

 

Sie war tief spirituell, anmutig und schön in jeder Hinsicht, zu Hause in der Welt und zu Hause in den Bereichen des Jenseits. Ich fühlte, dass ich die perfekte Frau gefunden hatte.“ Sein Freund fragte weiter: „Und hast du sie nicht geheiratet, Mulla?“

 

„Leider nicht“, sagte Nasruddin, während er den Kopf schüttelte, „denn unglücklicherweise wartete sie auf den perfekten Ehemann.“

 

Sufi

 

Kornfield/Feldmann, „Geschichten,....“

 

 

 

 

Der Mann und die Milch

Der Mann kommt nach Hause: "Liebste, ich habe das Geschäft meines Lebens gemacht" Komm lass uns feiern, wir gehen essen." Sie: "Hast Du die Milch mitgebracht?" " Nein, die habe ich vergessen." Weißt Du, das war so eine harte Ausschreibung. Ich habe Wochen dafür geknüppelt. Aber es hat sich gelohnt."

Sie: " Hast Du denn auch die Milch mitgebracht?" Er: " Nein. Liebling, Was wünscht Dir. Du wolltest doch.... Jetzt können wir uns endlich das Haus in... leisten. Der Auftrag bringt eine halbe Million!" Sie hast Du die Milch mitgebracht?" Er: "Nein. Es tut mir leid. Aber verstehst Du denn nicht, dass ich gerade den Kopf voll habe?" Sie: "Nie denkst Du an mich. Du hast immer nur Deine Geschäfte im Kopf. Noch nicht mal an das bisschen Milch denkst Du! " ..... Und der Abend ist gelaufen.

(Frei nacherzählt nach einer Erzählung von W.Mauckner)

 

Katze und Maus

 

Eine Kuh steht auf der Weide. Da kommt eine kleine Maus angeflitzt und bittet die Kuh, sich bei ihr verstecken zu dürfen. Die Kuh ist hilfsbereit. Vorsichtig dirigiert sie die Maus unter ihr Hinterteil, dann plumpst ein Fladen nieder, der die Maus bis auf die winzige Schwanzspitze versteckt. Schon kommt die Katze und brüllt: "Wo ist die Maus?" Die Kuh schüttelt den Kopf: "Hier ist keine Maus." Aber mit sicherem Instinkt sieht die Katze das Schwänzchen, räumt sachte den Fladen beiseite, zieht die Maus raus und frisst sie. Was uns diese Geschichte lehrt?

1. Nicht jeder, der uns bescheißt, ist unser Feind.
2. Nicht jeder, der uns aus der Scheiße holt, ist unser Freund!
3. „Wenn Du schon in der Scheiße steckst, zieh wenigstens den Schwanz ein“.

 

 

Bauer und Bäurin

 

Bäurin: „Zensi kriagt a Kind.“

Bauer: „Jo mei, des isch ihr Sach.“

Bäurin: „Sie sagt, es isch von Dir.“

Bauer: „Des isch mei Sach.“

Bäuerin: „U was soll I jetzt mache?“

Bauer: „Des isch die Sach.“

 

Der gebrochene Finger

 

Ein Mann kommt zum Arzt und jammert: „Herr Doktor, wo ich auch hinlange, es tu mir schrecklich weh. Sehen sie zum Beispiel hier. Aua! Oder hier: Auaaaa! Es ist furchtbar.“

In der Tat, wo immer der Mann mit seinem Finger auch nur leicht hindeutet, er schreit vor Schmerzen auf. Der Arzt verordnet eine umfangreiche Diagnostik. Nach Auswertung aller Befunde beruhigt ihn der Arzt: „Machen Sie sich keine Sorgen. Sie haben nur Ihren Zeigefinger gebrochen.“

 

(Trenkle, „Das Ha-Handbuch..“)

 

 

Hoffentlich bin ich krank!

 

Mulla Nasrudin kam eines Morgens sehr spät ins Wartezimmer des Dorfarztes. Viele Leute waren vor ihm dran. Flugs begann er zu seufzen und zu stöhnen und mit vernehmlicher Stimme zu sprechen: „Oje, hoffentlich bin ich sehr krank, hoffentlich bin ich sehr krank.“

Das demoralisierte die anderen Leidenden so sehr, dass sie ihn als ersten ins Sprechzimmer schickten.

Dort rief er sofort dem Arzt zu: „Ich hoffe nur, dass ich sehr krank bin!“

„Warum?“

Weil es schlimm wäre, dass jemand, der sich so wie ich gerade fühlt, in Wirklichkeit kerngesund ist!“

 

 

Kopfschmerz

 

Kommt eine Frau zum Pfarrer. „Herr Pfarrer, Herr Pfarrer, ich habe solchen Kopfschmerzen. Mein Mann nörgelt den ganzen Tag, die Kinder streiten und schreien und dann noch die Arbeit und die Alten – ständig wollen sie etwas von einem. Ich weiß gar nicht wo mir der Kopfsteht. Es wird mir alles zuviel. Und dann platzt mir auch noch der Kopf, ein ständiges Hämmern...Her Pfarrer, Herr Pfarrer...Sie glauben gar nicht ….“ Nach einer halben Stunden Klagen und Leidens hält die Frau schließlich inne. „Herr Pfarrer, Sie glauben es nicht – meine Kopfschmerzen sind weg. Oh, Sie haben mir ja so geholfen, endlich sind die Kopfscherzen fort!“ Pfarrer: „Gute Frau, schön für Sie. Jedoch sind die Kopfschmerzen leider nicht weg – jetzt habe ich sie.“

 

 

Klein Fritzchen

 

In der Schule fragt die Lehrerin die Schüler nach ihren Berufswünschen. Kommt Klein Fritzchen an die Reihe. „Was willst Du denn später mal werden?“ Kommt wie aus der Pistole geschossen die Antwort: „Alkoholiker!“ Entgegnet die überraschte Lehrerin: „Aber Klein Fritzchen, wie kommst Du denn darauf?“ Klein Fritzchen: „Seitdem mein Papa sagt, er sei Alkoholiker, trinkt er nicht mehr und es sind bei uns immer so freundliche Menschen zu Besuch“, weist Peter auf die Zeit der Nüchternheit seines Vaters hin. „Jetzt ist es wieder ganz schön zu Hause“

 

 

 

 

Noch zwei Witze

 

„Warum trinkst du?“ – „Immer Ärger mit der Frau“ – „Wozu führt das?“ – „Immer Ärger mit der Frau“

 

Therapeut:„Alkohol macht gleichgültig.“

Patient: „Ist mir doch egal“

 

 

Und noch einer...

 

Cannabis

 

Geht ein alter Mann zum Arzt und lässt sich gründlich untersuchen. Sagt der Arzt zum Abschluss: „Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Welche möchten Sie zuerst hören?“ Antwort: „Die schlechte.“ Arzt: „Sie haben Krebs.“ „Und was ist die gute Nachricht?“ „Sie haben auch Alzheimer. In zehn Minuten ist alles vergessen.“

 

Geht ein junger Mann auf Bitten seiner Eltern zum Psychiater, um sich untersuchen zu lassen. Sagt der Psychiater zum Abschluss: „Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Welche möchten Sie zuerst hören?“ Antwort: „Die schlechte.“ „Psychiater: Sie haben eine Bewusstseinsveränderung durch Cannabiskonsum.“ „Und was ist die gute Nachricht“ „Sie sind sich dessen nicht bewusst.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein Mann gab das Rauchen auf...

 

Ein Mann gab das Rauchen an einem Tag auf, als er seine Kinder von der Stadtbücherei abholen wollte. Dies spielte sich folgendermaßen ab: Als er bei der Bücherei ankam, brach gerade ein Unwetter los. Gleichzeitig bemerkte er, als er seine Taschen durchsuchte, dass er keine Zigaretten dabei hatte. Er warf einen flüchtigen Blick auf die Bibliothek und sah, wie seine Kinder hinaus in den Regen stapften. Doch fuhr er weiter, weil er sich sicher war, einen Parkplatz zu finden, von wo aus er noch schnell Zigaretten besorgen und zurück bei seinen Kindern sein könne, bevor diese ernsthaft nass geworden seien. Als ihm jedoch klar wurde, dass er seine Kinder buchstäblich im Regen stehen ließ, nur um Zigaretten zu holen, fühlte er sich so beschämt, dass er das Rauchen aufgab.

 

 

Die geheilte Bronchitis

 

Ein Mann mit einer schweren Bronchitis kommt in Eriksons Praxis. Erikson untersucht ihn und verschreibt ihm ein Medikament.

 

Eine Woche später kommt der Mann zur Kontrolluntersuchung. Bevor der Patient das Arztzimmer betritt, schaut Erickson noch mal in seine Akten und stellt mit Entsetzen fest, dass er dem Mann versehentlich ein schweres Abführmittel verschrieben hat.

 

Er entschuldigt sich sofort. Der Patient jedoch sagt: „Keine Sorge Herr Doktor, es hat prima geholfen. Ich habe mich nach der Einnahme des Mittels nicht mehr getraut zu husten.“

 

(Trenkle, „Das Ha-Handbuch ...“, S.118)

 

 

 

 

 

Double Bind

 

I. Pat und Patachon

 

Pat und Patachon machen auf ihrer Reise durch den Nationalpark eine Pause und begeben sich auf einen Spaziergang. Sie träumten in Anbetracht der wunderschönen alten Bäume ein wenig vor sich hin und vergaßen die Zeit und den Weg. Plötzlich stehen sie vor einem riesigen Bären. Sie flüchten in Panik. Pat klettert blitzschnell auf einen Baum und Patachon rennt in eine nahe Höhle – aber Sekunden später rast er wieder raus auf den Bären zu. Dann macht er kehrt und rennt schon wieder in die Höhle. Pat brüllt verzweifelt hinter ihm her: „ verdammt, bleib doch erst mal in der Höhle.“ Aber Patachon kommt schon wieder und brüllt: „Geht nicht. Da ist ein anderer Bär!“

 

(ähnlich auch in Trenkle, „Das Ha-Handbuch“)

 

 

II. Der Pullover

 

Klaus bekommt zum sechsten Geburtstag von Mama zwei Pullover geschenkt, einen roten und einen grünen. Klaus geht in sein Zimmer und zieht sich dort den roten Pullover über. Strahlend kehrt er zurück und will ihn Mama vorführen. Die antwortet jedoch nur: „Den grünen Pullover magst du wohl nicht leiden?“

 

Der Ausweg (des kleinen Affen)

 

Irgendwo im Süden, als es gerade anfing Tag zu werden, stieg ein kleiner Affe auf die Palme, schwang eine schwere Kokosnuss in seiner Hand und schrie aus Leibeskräften.

Das hörte ein Kamel, kam etwas näher, schaute zu ihm hoch und fragte: „Was ist denn mit dir heute los?“

„Ich warte auf den großen Elefanten. Dem knall ich eine mit der Kokosnuss, dass ihm der Schädel kracht und ihm Hören und Sehen vergeht!“

Das Kamel aber dachte: „Was will er denn wirklich?“

 

Am Mittag kam ein Löwe, legte sich unter den Baum und wollte dösen. Da hörte er den kleinen Affen und fragte: „Was ist denn mit dir heute los?“

„Ich warte auf den großen Elefanten. Dem knall ich eine mit der Kokosnuss, dass ihm der Schädel kracht und ihm Hören und Sehen vergeht!“

Der Löwe aber dachte: „Was will er denn wirklich?“

 

Am Nachmittag kam ein Nashorn, hörte den Affen schreien, wunderte sich und fragte: „Was ist denn mit dir heute los?“

„Ich warte auf den großen Elefanten. Dem knall ich eine mit der Kokosnuss, dass ihm der Schädel kracht und ihm Hören und Sehen vergeht!“

Das Nashorn aber dachte: „Was will er denn wirklich?“

 

Am Abend kam der große Elefant, rieb sich an der Palme, griff mit dem Rüssel nach den Blättern und fraß. Doch oben im Baum saß der kleine Affe zusammengekauert und war mucksmäuschenstill. Dann schaute der große Elefant nach oben, sah den kleinen Affen und fragte: „Was ist denn mit dir heute los?“

 

„Nichts. Ich habe zwar heute etwas laut herumgebrüllt, aber das wirst du doch heute nicht so ernst genommen haben!“ Der Elefant aber dachte: „Was will er denn wirklich?

Dann trompetete er seiner Herde und stapfte davon.

 

Der kleine Affe saß noch lange still. Dann nahm er die Kokosnuss, kletterte auf den Boden und knallte sie gegen einen Stein, dass sie platzte. Dann trank er die Milch und aß die Frucht.

 

(Bert Hellinger)

 

 

Der verfehlte Dialog

 

Zwei Freunde treffen sich zufällig nach langer Zeit auf der Straße Sie beginnen sich auszutauschen, Was die letzten Jahre in ihrem Leben alles geschah, und dabei entwickelt sich folgender Dialog:

 

Freund 1: „Ja und vor zehn Monaten habe ich geheiratet, aber leider starb meine Frau vor vier Wochen.“

 

Freund 2: „Welche Tragödie! Was hat sie denn gehabt?“

 

Freund 1: „Ein kleines Einzelhandelsgeschäft und ein paar tausend Mark Festgeldanlagen.“

 

Freund 2: “Nein das meine ich nicht. Was hat ihr denn gefehlt?“

 

Freund 1: „Na gut. Ein Bauplatz und das Geld, das Geschäft vernünftig auszubauen.“

 

Freund 2: Das meine ich doch nicht. An was ist sie denn gestorben?“

 

Freund 1: „Ach so. Sie wollte in den Keller, um fürs Mittagessen Kartoffeln und Sauerkraut

hochzuholen. Dabei ist sie auf der Treppe gestürzt und hat sich das Genick gebrochen.“

 

Freund 2: „Um Himmels willen! Was habt ihr denn da gemacht?“

 

Freund 1 „Nudeln.“

 

 

(Trenkle, „Das Ha-Handbuch...“)

 

 

Kurze Witze

 

Hausarzt: „Na wie wirkt das Stärkungsmittel?:

Patient: „Kann ich leider noch nicht sagen. Ich habe die Flasche noch nicht aufgekriegt.“

 

Wann gilt der Grundsatz „Vorbeugen ist besser als heilen“ nicht? Wenn man vor dem Abgrund steht.

 

Fliegen zwei Schwalben am Himmel. Überholt sie ein Düsenjäger. Sagt die eine Schwalbe zur anderen: „Poh, fliegt der Vogel aber schnell!“ Erwidert die andere: „Kein Wunder, dem brennt ja auch der Arsch.“

 

Es treffen sich zwei Rechtsanwälte. Fragt der eine: „Wie geht’s?“, sagt der andere: „Schlecht! Ich kann nicht klagen!“

 

„Herr Ober!! Eine Fliege...“ „Toll!! Normalerweise meiden Fliegen unsere Suppen...“

 

Ein Geistlicher schickte seinen gelähmten Schützling in Richtung Heilige Quelle. Der Kranke fuhr mit seinem Stuhl in die heilenden Wasser, tauchte unter, tauchte auf, und der Rollstuhl war vierfach neu bereift.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

MU

 

Ein Mönch fragte den (Zen) Meister Joshu: Kann denn auch ein kleiner Hund die Buddha-Natur haben? Der Roshi – so nennt man einen Zen-Meister – antwortete MU (zu deutsch: Nichts).

Zugrunde liegt folgende Überlegung: Wenn alles Buddha Natur hat und Buddha in allem ist, dann müsste doch selbstverständlich auch ein Hund – oder ein Regenwurm oder eine Ratte – Buddha-Natur haben. Warum antwortete Joshu trotzdem mit „MU“, also mit „Nein“ und „Nichts“ und „Nicht-Sein“? Warum sagte er nicht „U“, also „Ja“, zumal gerade Meister Joshu in anderem Zusammenhang immer wieder auf die Buddha-Natur alles Lebendigen hingewiesen hatte?

Die Antwort liegt darin, dass Joshu die Frage des Mönches nicht etwa beantwortet, sondern ablehnt. Sein „Mu“ will sagen: Kümmere dich nicht um Metaphysik. Oder auch: Kümmere dich nicht um Dinge, die dich nichts angehen.

 

(J.E.Behrendt in „Nada Brahma, S.42)

 

 

Zwei Mönche

 

Zwei Mönche sind auf Wanderschaft. Als sie an einen Fluss kommen sitzt, dort mit tränenüberströmten Gesicht ein bildhübsches Mädchen auf einem Stein am Wegesrand. „Die Strömung ist zu stark“, jammert sie, „ich komme nicht hinüber.“ Da nimmt der ältere der beiden Mönche sie mit lächelndem Gesicht auf seine Arme und schreitet mit ihr durch das Wasser hinüber auf die andere Seite des Flusses. Dort setzt er sie ab und setzt gemeinsam mit seinem Bruder die Reise fort.

 

„Du“, beginnt nach etwa einer Stunde der jüngere der beiden Mönche ein Gespräch, „ aber wir dürfen doch keine Frau anschauen oder gar berühren. Wenn das nun die anderen Brüder im Kloster erfahren. Was wird dann los sein? Was gibt das für ein Theater? Wie konntest du nur dir Frau auf deine Armen tragen?“ Seelenruhig antwortet der Ältere: „Ich habe die Frau vor einer Stunde am Fluss abgesetzt, du trägst sie immer noch mit die herum.“

 

 

In der Not

 

Als der Mulla nach der Gebetszeit aus der Moschee kam, saß ein Bettler am Straßenrand und bat um Almosen. Es ergab sich die folgende Unterhaltung:

 

Mulla: „Bist du verschwenderisch?“

Bettler: „Ja, Mulla.“

Mulla: “Sitzt du gerne herum und trinkst Kaffee und rauchst?“

Bettler: „Ja.“

Mulla: Ich nehme an, du gehst gerne jeden Tag in die Badestuben?“

Bettler: „Ja“

Mulla: „... und machst dir wohl auch das Vergnügen, mit deinen Freunden eins zu trinken?“

Bettler: „Ja, all das macht mir Spaß“

„Soso“, sprach der Mulla, und er gab ihm ein Goldstück.

Ein paar Meter weiter saß noch ein Bettler; er hatte das Gespräch mit angehört und bettelte aufdringlich um Almosen.

Mulla: „Bist du verschwenderisch?“

Bettler: „Nein.“

Mulla: „Trinkst du gerne Kaffe und rauchst?“

Bettler: „Nein.“

Mulla: „Ich nehme an, du gehst gerne jeden Tag in die Badestuben?“

Bettler: „Nein.“

Mulla: „...und machst dir auch den Spaß, mit deinen Freunden eins zu trinken?“

Bettler: „Im Gegenteil, ich möchte nichts anderes als ganz bescheiden leben und beten.“

Daraufhin gab der Mulla ihm eine kleine Kupfermünze.

„ Aber warum“, jammerte der Bettler, „gibst du einem sparsamen und frommen Mann nur einen Pfennig, während du dem Verschwender eine Goldmünze geschenkt hast?“

„Ach“, antwortete der Mulla, „seine Not ist größer als deine.“

 

(Idries Shah, 1984)

 

 

Ich selbst

 

Ein Mönch sagte zu Nasrudin: „Ich bin innerlich so frei und losgelöst, dass ich nie an mich selbst denke, nur an andere.“

 

Nasrudin antwortete: Ich bin so objektiv, dass ich mich betrachten kann, als wäre ich eine andere Person; daher kann ich es mir auch leisten, an mich selbst zu denken.“

 

(Idries Shah, 1984)

 

 

Der Schatz

 

Den Jünglingen, die zum ersten Mal zu ihm kamen, pflegte Rabbi Bunam die Geschichte von Rabbi Jekels in Krakau zu erzählen. Dem war nach Jahren schwerer Not, die sein Gottvertrauen nicht erschüttert hatten, im Traum befohlen worden, in der Stadt Prag an der Brücke, die zum Königsschloss führt, nach einem Schatz zu suchen. Als der Traum zum dritten Mal wiederkehrte, machte sich der Rabbi Eisik auf und wanderte nach Prag. Aber an der Brücke standen Tag und Nacht Wachtposten, und er getraute sich nicht, zu graben. Doch kam er an jedem Morgen zur Brücke und umkreiste sie zum Abend. Endlich fragte ihn der Hauptmann der Wache, auf sein Treiben aufmerksam geworden, freundlich, ob er hier etwas suche oder auf jemand warte. Rabbi Eisik erzählte, welcher Traum ihn aus fernem Land hergeführt habe. Der Hauptmann lachte: “Und da bist du armer Kerl mit deinen zerfetzten Sohlen einem Traum zu gefallen hergepilgert? Ja, wer den Träumen traut! Da hätte ich mich ja auch auf die Beine machen müssen, als es mir einmal im Traum befahl, nach Krakau zu wandern und in der Stube eines Juden, Eisik, Sohn Jekels sollte er heiße, unterm Ofen nach einem Schatz zu graben. Eisik, Sohn Jekels! Ich kann’s mir vorstellen, wie ich drüben, wo die eine Hälfte der Juden Eisik und die andere Jekel heißt, alle Häuser aufreiße!“ Und er lachte wieder. Rabbi Eisik verneigte sich, wanderte heim, grub den Schatz aus und baute das Bethaus, das Reb Eisik Reb Jekels Schul heißt.

 

„Merke dir diese Geschichte“, pflegte Rabbi Bunam hinzuzufügen, „und nimm auf, was sie dir sagt: dass es etwas gibt, was du nirgends in der Welt, auch nicht beim Zaddik finden kannst, und dass doch einen Ort gibt, wo du es finden kannst.“

 

aus: Deikmann, „Therapie und Erleuchtung“

 

 

Der Schlüssel in der Mitte des Menschen

 

Als Gott die Schöpfung aus dem Einen geschaffen hatte, hielt er zum Schluss den Schlüssel zu allem Geschaffenen in der Hand. Aufgabe des Menschen sollte es nun sein, diesen Schlüssel zu finden.

 

Um den Reiz zu erhöhen, wollte er ihn möglichst gut verstecken und er befragte seine himmlischen Ratgeber, und sie wussten ihm viele Antworten, bis hin zum Mond. Gott aber sprach:

 

„Ich will ihn doch lieber ganz nahe und doch ganz weit weg verstecken, dort, wo sie zuletzt suchen werden.“ Und er verbarg ihn in der Mitte eines Menschen.

 

 

 

 

Impfung

 

Mitten in die laue Nacht Indiens platzte ein Eindringling durch die Bambustür der einfachen Lehmhütte. Es war ein Impfbeamter von der Regierung, der den Auftrag hatte, den Widerstand gegen die Pockenimpfung zu brechen. Lakshmi Singh erwachte mit einem Schrei und huschte in ein Versteck. Ihr Mann sprang aus dem Bett, ergriff eine Axt und scheuchte den Eindringling vom Hof.

 

Draußen wurde Mohan Singh von einem Trupp Ärzten und Polizisten rasch überwältigt. Kaum lag er am Boden, stieß ein zweiter Impfbeamter ihm die Pockennadel in den Arm.

 

Mohan Singh, ein 40jähriger drahtiger Anführer des Stammes Ho, wand sich unter der Nadel, worauf die Impfstelle zu bluten begann. Die Regierungsmannschaft hielt ihn fest, bis genügend Impfstoffinjiziert war; dann packten sie seine Frau. Mohan Singh hielt kurz inne, um den Impfstoff auszusaugen, bevor eine Bambusstange vom Dach herunterriss und auf die Fremden losging, die seine Frau festhielten.

 

Während zwei Polizisten ihn zurückstießen, überwältigte das restliche Kommando die ganze Familie und impfte einen nach dem anderen. Lakshmi Singh biss dem einen Arzt tief in die Hand, aber es nützte nichts.

 

Als alles vorbei war, versammelte sich unser Impfteam auf dem kleinen Hof. Mohan Singh stand mit seiner erschöpften Familie neben der zerbrochenen Haustür. Wir sahen uns schweigend über eine kulturelle Schranke hin an, keine Seite wusste, was als nächstes zu tun sei. So ein Vorkommnis – einen nächtlichen Überfall mit gewaltsamer Pockenimpfung – hatte es noch nie gegeben.

 

Mohan Singh warf einen Blick über seinen durcheinander geratenen Haushalt und dachte nach. Einen Moment zögerte er. Dann ging er auf sein kleines Gemüsebeet zu und bückte sich, um die einzige reife Gurke an der Ranke zu pflücken. Er befolgte das Gastfreundschaftsgesetz seines Stammes und ging auf den verdutzten jungen indischen Arzt zu, den seine Frau gebissen hatte, und reichte ihm die Gurke.

 

Ich stand im Schatten und versuchte, den Sinn dieser seltsamen Begegnung zu enträtseln. Ich wand mich an Zafar Hussein, einen muslimischen Arzthelfer, den die indische Regierung mir als Führer und Übersetzer beigestellt hatte. Was um alles in der Welt hatte die Gurke zu bedeuten? Im Hindi gab Zafar meine Frage an einen der Impfer, einen westlich erzogenen Ho-Jugendlichen weiter, der Mohan Singh in dem Stakkato Rhythmus der Ho-Sprache herausforderte.

 

Mit großer Würde stand Mohan Singh da, stocksteif wie ein Besenstiel. Inzwischen war das ganze Dorf wach, die Leute standen um den Hofschauplatz herum, während die aufgehende Sonne den Fortgang des Dramas erleuchtete. Mit sorgfältig gewählten Worten begann Mohan Singh:

 

„Mein Dharma (religiöse Pflicht) besteht darin, mich Gottes Willen hinzugeben. Nur Gott kann entscheiden, wer krank wird und wer nicht. Es ist meine Pflicht, mich eurer Einmischung in seinen Willen zu widersetzen. Wir müssen und euren Nadeln widersetzen. Wir würden im Widerstand sterben, wenn das nötig ist. Meine Familie und ich haben nicht nachgegeben. Wir haben unsere Pflicht getan. Wir können stolz darauf sein, dass wir in unserem Glauben festgeblieben sind. Es ist keine Sünde, wenn man mitten in der Nacht von so vielen Fremden überwältigt wird. Ihr hingegen seid gekommen und habt mir gesagt, dass es euer Dharma ist, diese Krankheit mit Euren Nadeln zu verhindern. Wir haben euch weggeschickt. Heute Nacht habt ihr Gewalt angewendet. Ihr sagt, ihr handelt in Übereinstimmung mit eurer Pflicht. Ich habe in Übereinstimmung mit meiner gehandelt. Es ist vorbei. Gott wird entscheiden. Jetzt seid ihr, wie ich es sehe, Gäste in meinem Haus. Es ist meine Pflicht, Gäste zu bewirten. Zu dieser Zeit habe ich wenig anzubieten. Außer dieser Gurke.“

 

Ich fühlte mich betäubt und zerrissen. Einen Moment fragte ich mich, ob ich auf der falschen Seite war. Mohan Singh war so fest in seinem Glauben, und doch war keine Spur von Ärger in seinen Worten. Ich suchte in den Gesichtern meiner Kameraden, ob jemand auf die Herausforderung von Mohan Singh antworten würde. Gedemütigt on der Glaubenskraft Mohan Singhs starrten alle auf den Boden.

 

Lawrence Brillant

aus Kornfield/Feldmann

 

Alexander und der Yogi

 

Als Alexander der Große mit seiner Armee in Indien war, begegnete er dort einem ganz großen Yogi. Er sprach mit dem Yogi und dieser gefiel Alexander sehr. So wollte er den Yogi mit nach Mazedonien nehmen. Der Yogi aber wollte nicht mit ihm gehen. Darauf sagte Alexander dem Yogi: „Wenn du nicht mit mir kommst, lasse ich dich töten.“ Darauf lachte der Yogi und antwortete: Du willst mich töten? - Mich? - Du siehst mich gar nicht. Du kannst nur meinen Körper töten lassen, nie aber mein Ich, das in meinem Körper wohnt und das ICH BIN.“ Und Alexander war von dieser Antwort so tief beeindruckt, dass er den Yogi reich beschenken ließ und sehr nachdenklich weiterzog.“

 

(Überlieferung aus Elisabeth Haich: „Tarot“)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Nicht

 

Ein Mönch, der auf der Suche war,

bat einen Händler auf dem Markt

um eine Gabe.

 

Der Händler hielt noch einen Blick lang inne

und fragte ihn, als er sie gab:

„Wie kann es sein, dass du von mir,

was dir zum Leben fehlt, erbitten,

doch mich und meine Lebensweise,

die es die gewähren, für minder achten musst?“

 

Der Mönch gab ihm zur Antwort:

„Verglichen mit dem Letzten, das ich suche,

erscheint das andere gering.“

 

Der Händler aber fragte weiter:

„Wenn es ein Letztes gibt,

wie kann es etwas sein,

das einer suchen oder finden könnte,

als läge es am Ende eines Weges?

Wie könnte einer je

zu ihm sich wegbegeben und so,

als sei es unter anderem und vielen

seiner habhaft werden?

Und wie könnte umgekehrt

von ihm sich einer wegbegeben

und weniger als andere

von ihm getragen

oder ihm zu Diensten sein?“

 

Der Mönch entgegnete:

„Das letzte findet,

wer dem Nahen und dem Jetzigen

entsagt.“

 

Der Händler aber überlegte weiter:

„Wenn es ein Letztes gibt,

dann ist es jedem nah,

wenn auch, so wie in jedem Sein ein Nicht

und wie in jedem Jetzt ein Vorher und ein Nachher,

in dem, was uns erscheint

und was verweilt,

verborgen.

 

Verglichen mit dem Sein,

das wir vorübergehend und begrenzt erfahren,

scheint uns das Nicht unendlich,

wie das Woher und das Wohin,

verglichen mit dem Jetzt.

Doch offenbart das Nicht sich uns

im Sein,

wie das Woher und das Wohin

im Jetzt.

 

Das Nicht ist wie die Nacht

und wie der Tod

ungewusster Anfang

und schlägt im Sein für uns nur kurz,

so wie ein Blitz,

das Auge auf.

 

So kommt das Letzte uns auch nur im Nahen

nah,

und es leuchtet

jetzt.“

 

Nun fragt der Mönch:

„Wenn was du sagst die Wahrheit wäre,

was bliebe noch

für mich und für dich?“

 

Der Händler sprach:

„Uns bliebe noch,

für eine Zeit,

die Erde.“

 

(Bert Hellinger)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Anhang:

 

Zwei Variationen der Geschichte vom alten Indianer:

 

Das weiße Pferd

 

Ein Mann lebte mit seinem Sohn auf einer kleinen Farm. Sie besaßen nur ein Pferd, mit dem sie die Felder bestellten. Eines Tages lief das Pferd davon. Die Leute im Dorf kamen zu dem Mann und riefen: „Was für ein Unglück!“ Der Mann erwiderte mit ruhiger Stimme: „Wartet es doch ab. Wer weiß, wozu es gut ist?“

Eine Woche später kam das Pferd zurück und führte eine Herde wunderschöner Wildpferde mit sich. Wieder kamen die Leute und sagten: „Was für ein unglaubliches Glück“ Doch der Mann sagte wieder: „Wer weiß? Wer weiß, wozu es gut ist?“

In der nächsten Woche begann der Sohn, eines der wilden Pferde einzureiten. Er wurde aber abgeworfen und brach sich ein Bein. Nun musste der alte Mann die Feldarbeit allein bewältigen. Die Leute sagten zu ihm: „Was für ein Unglück!“ Die Antwort des Mannes war wieder: „Wer weiß? Wer weiß, wozu es gut ist?“

Bald darauf brach ein Krieg aus und alle jungen Männer des Dorfes wurden einberufen. Der Sohn des Mannes aber konnte mit seinem gebrochenen Bein zu Hause bleiben. Da kamen die Leute wieder und sagten: „Was hast Du doch nun für ein Glück! Du behältst Deinen Sohn sicher zuhause!“

Der alte Mann sagte nur:“ Wer weiß? Wer weiß wozu es gut ist?“

(Geschichtenkarte – Text leicht verändert, www.geschichten-netzwerk.de)

 

Mal sehen, wer weiß wozu es gut ist...

 

Es war einmal ein alter Mann, der zur Zeit Lao Tses in einem kleinen chinesischen Dorf lebte. Der Mann lebte zusammen mit seinem einzigen Sohn in einer kleinen Hütte am Rande des Dorfes. Ihr einziger Besitz war ein wunderschöner Hengst, um den sie von allen im Dorf beneidet wurden. Es gab schon unzählige Kaufangebote, diese wurden jedoch immer wieder strikt abgelehnt. Das Pferd wurde bei der Erntearbeit gebraucht und es gehörte zur Familie, fast wie ein Freund.

 

Eines Tages war der Hengst verschwunden. Nachbarn kamen und sagten: „Du Dummkopf, warum hast du das Pferd nicht verkauft? Nun ist es weg, die Ernte ist einzubringen und du hast gar nichts mehr, weder Pferd noch Geld für einen Helfer. Was für ein Unglück!“ Der alte Mann schaute sie an und sagte nur: „Unglück – Mal sehen, denn wer weiß? Das Leben geht seinen eigenen Weg, man sollte nicht urteilen und kann nur vertrauen. Wer weiß wozu es gut ist?“

 

Das Leben musste jetzt ohne Pferd weitergehen und da gerade Erntezeit war, bedeutete das unheimliche Anstrengungen für Vater und Sohn. Es war fraglich ob sie es schaffen würden, die ganze Ernte einzubringen.

 

Ein paar Tage später war der Hengst wieder da und mit ihm war ein Wildpferd gekommen, das sich dem Hengst angeschlossen hatte. Jetzt waren die Leute im Dorf begeistert. „ Du hast Recht gehabt“, sagten sie zu dem alten Mann. Das Unglück war in Wirklichkeit ein Glück. Dieses herrliche Wildpferd als Geschenk des Himmels, nun bist du ein reicher Mann...“ Der Alte sagte nur: „Glück – Mal sehen, denn wer weiß? Das Leben geht seinen eigenen Weg, man soll nicht urteilen und kann nur vertrauen. Wer weiß wozu es gut ist?“

 

 

Die Dorfbewohner schüttelten den Kopf über den wunderlichen Alten. Warum konnte er nicht sehen, was für ein unglaubliches Glück ihm widerfahren war? Am nächsten Tag begann der Sohn des alten Mannes, das neue Wildpferd zu zähmen und zuzureiten. Beim ersten Ausritt warf ihn dieses so heftig ab, dass er sich beide Beine brach. Die Nachbarn im Dorf versammelten sich und sagten zu dem alten Mann: „ Du hast Recht gehabt. Das Glück hat sich als Unglück erwiesen, dein einziger Sohn ist jetzt ein Krüppel. Und wer soll nun auf deine alten Tage für dich sorgen?“ Aber der alte blieb gelassen und sagte zu den Leuten im Dorf: „Unglück – Mal sehen, denn wer weiß? Das Leben geht seinen eigenen Weg, man soll nicht urteilen und kann nur vertrauen. Wer weiß wozu es gut ist?“

 

 

Es war jetzt alleine am alten Mann die restliche Ernte einzubringen. Zumindest war das neue Pferd soweit gezähmt, dass er es als zweites Zugtier für den Pflug nutzen konnte. Mit viel Schweiß und Arbeit bis in die Dunkelheit, sicherte er das Auskommen für sich und seinen Sohn.

 

Ein paar Wochen später begann ein Krieg. Der König brauchte Soldaten, und alle wehrpflichtigen jungen Männer im Dorf wurden in die Armee gezwungen. Nur den Sohn des alten Mannes holten sie nicht ab, denn den konnten sie an seinen Krücken nicht gebrauchen. „ Ach was hast du wieder für ein Glück gehabt!“ riefen die Leute im Dorf. Der Alte sagte: „Mal sehen, denn wer weiß? Aber ich vertraue darauf, dass das Glück am Ende bei dem ist, der vertrauen kann. Wer weiß wozu es gut ist?“

 

(www.lichtkreis.at, mit leichten Änderungen)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Geschichten sind eine Sammlung aus vielen Jahren, teilweise mündlich überliefert und von mir aufgeschrieben, teilweise irgendwann irgendwo gefunden und aufgehoben. Folgende Bücher, sowie Internetaddressen kann ich als Quellennachweis angeben:

 

Aldinger, Marco (1989): „Bewusstseinserheiterung“

Dahlke, Rüdiger: „Das Mandala-Malbuch“

Haich, Elisabeth (1971): „Tarot“

Hellinger, Bert (1996): „Die Mitte fühlt sich leicht an“

Fischer, Ron (Hrsg.)(1939): „Also sprach Mulla Nasrudin“

Landmann, Salcia (1992): „Jüdische Witze“

Lechler, Walther H., (Hrsg.) (1994): „So kann’ s mit mir nicht weitergehen!“

Schlippe, Arist von, Schweitzer Jochen (1995): Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung

Shah, Idries(1984): „Die fabelhaften Heldentaten des vollendeten Narren und Meisters Mulla Nasrudin“

Trenkle, Bernhard (1995): „Das Ha-Handbuch der Psychotherapie: Witze ganz im Ernst“

Trenkle, Bernhard, (2000): „Das zweite Ha-Handbuch“

 

Internet:

www.geschichtennetzwerk.com

www.lichtkreis.at