Lyrik (zu Vater und Mutter)
Die eigene Familie wahrzunehmen, zu erinnern, was war und was ist, nimmt nicht nur in vielen Therapien Raum ein. Dieser Prozess ist Voraussetzung für die eigene Identitäts- und Sinnfindung, sowie für Integration, Heilung und Potentialentfaltung.
Dafür gibt es viele Formen.
In vielen Jahren lernte ich viele Wege der Aueinandersetzung und Heilung mit den familiären Wurzeln kennen. Insbesondere durch die langjährige Auseinandersetzung mit den von Bert Helinger populär gemachten "Ordnungen der Liebe", sowie der freundschaftlichen Verbindung zu Jirina Prekop wurden mir verstehende und aussöhnende Sichtweisen und Vorgehensweisen vertraut. Auch Dr. Friedrich Ingwersen habe ich sehr viel zu verdanken.
"... bis die Liebe wieder fließt" lautete der erste Vortrag von Jirina Prekop 1997 in der von mir organisierten Vortragsreihe "Leben und Sinn" in meiner Heimatstadt Lübbecke/Westf. .
Mit den folgenden beiden Gedichten für meine Eltern fand mein Aussöhnungs- und Würdigungsprozess eine lyrische Form, die mich jeweils sehr froh gemacht hat.
Mein Vater, der Usedom Husar
Usedom Husaren –
Wie weit bin ich gefahren!
Von Euch zu hören, lesen, wissen,
den Vater ich tu stets vermissen.
Nun bin ich hier mit meinen Fragen
Und kann auch was zu Vater sagen.
Von wo er kam und wer er war,
Bei Adolf Usedom Husar.
Das Schicksal meines Vaters, hart,
Harrt dennoch auf Erkundigung
Und will keine Entschuldigung.
Er war kein Opfer, sondern Held!
Er überlebte und das zählt!
Er erntete Entwürdigung und alltägliche Erniedrigung:
„Ach Hermann, Ärmster, arme Sau!“
Zum Glück kam Rosi seine Frau.
Spitzbübisch, frech und mit Humor
Nahm sie sich ihren Hermann vor.
Der wollte sterben, wollte fliehen.
„Es warten Erben! Kannst später ziehen!
Ich will hier noch Geschäfte machen,
Du kannst mir helfen, sprach sie lachend!
Du kennst die Bauern, ich habe Ware“-
ganz jüdisch lauernd, ich erfahre.
Jahrzehnte später frage ich,
der Erbe, denn es prägte mich.
Und will nun wissen wie es war:
Als Usedom Husar!
Als solcher denn mein Vater zog
In Weltkrieg Zwei gar nicht famos.
Als Panzerfahrer abgeschossen,
Er kämpfte wild und unverdrossen!
Ums Überleben, gar nicht bang -
Durch die Flammen - es gelang!
Die Kameraden? Alle tot.
Mein Vater sah von nun an rot.
Das Blut quoll ihm aus allen Wunden,
Gesicht zerrissen, Haut geschunden.
So lag er auf dem Schlachtfeld rum
Bis irgendeiner guckte dumm.
„He, hier ist einer, der noch lebt!
Packt einer an? Ich bin bestrebt
Den Kerl zu retten, packt mit an!
Ich brauche hier jetzt jeden Mann!“
Und Kameraden, Helfer viele
Verfolgten Überlebensziele.
Mein Vater, ist er auch verbrannt –
Er lebte schließlich stadtbekannt.
Verbrennungen sah jedermann
Und mancher zuckte ab und dann.
So schrecklich sah mein Vater aus –
So kam er aus dem Krieg nach Haus.
Das Jammern war nicht auszuhalten!
Nicht Vater’s ! – Nachbarn, all die Alten
Die zuvor nie Leid gesehen –
Die Jammerten, nicht zu verstehen!
Mein Vater nahm sein Schicksal an,
Das zeichnete ihn aus als Mann.
So komme ich mit Fahrrad nun
Und möchte hiermit eines tun:
Bezeugen, wie es wirklich war:
Als Usedom Husar!
Für meinen Vater Hermann August Behring,
*21.04.1922 Rahden/Westfalen, +23.06.1988 Lübbecke Westfalen
© Jürgen Behring, geschrieben im Fahrradurlaub auf dem Oder-Neiße Radweg, Groß Neuendorf, 2015, überarbeitet, Schloss Mellenthin/Usedom, mit letzten Änderungen Wusterwitz 2022.
Für Mutter
Es gibt Sterne im Himmel
und auf der Erde.
Mutter lehrte mich
„Stirb und Werde“.
Was auch geschieht,
alles hat Sinn,
wahrer Reichtum
ist mehr als Gewinn.
Ein Schatz ist jenseits
von Haben, Besitzen.
Es gibt weit wichtigeres
zu beschützen.
Sie lehrte mich suchen,
Irrsinn überwinden.
Schmerz zu ertragen,
Schicksal ergründen.
Humor wertzuschätzen,
nicht nur zu schwätzen.
Den Vater zu achten,
wenn auch durch Verstehen,
den Rest ließ sie frei mich
selbst weiter zu gehen.
Sie lebte vor Liebe
bei aller Missachtung,
die sie erfuhr
in Fremdverhaftung
für Ohnmacht und Missbrauch,
der vor ihr geschah.
Sie blieb und stand
auf der Erde uns nah.
Die Seele im Glauben,
den Geist voll Verstand,
ausgestattet mit Bildung
sie so vieles fand.
Sie gab mir Heimat,
sie gab mir Glück
bei aller Schwermut
des Schicksals, das drückt.
Es war die Karte,
die ich bei ihr fand,
auf der von mir
einst geschrieben stand:
Es gibt Sterne im Himmel
und auf der Erde.
Danke für Dich!
Heut ergänze ich
voll mit Leben und Sinn
für dein „Stirb und Werde“
für dein „Ich bin“.
Brandenburg an der Havel, April 2022